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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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aber du wolltest nicht, dass sie dich wieder
     anschreit. Warum macht sie das? Vielleicht bildet sie sich immer noch ein, dass sie zu kultiviert für dich ist. Oder sie findet
     dich einfach nicht attraktiv, Andrij Palenko. Vielleicht denkt sie immer noch an ihren Boxerfreund, oder sie träumt von einem
     smarten Mobilfon-Geschäftsmann-Typ. Dann will sie ins Bett gehen, und du sagst, du gehst rüber in den anderen Wohnwagen, weil
     du hoffst, sie sagt, nein, Andrij, bleib bei mir. Aber das sagt sie nicht. Sie sagt nur, lass den Hund bei mir. Sogar den
     Hund zieht sie dir vor! Na ja, was soll’s. Schlecht gelaunt ziehst du ab. Und gerade als du im anderen Wohnwagen am Einschlafen
     bist, fängt Emanuel schon wieder von Fleischern an.
     
    Als er meine Wange berührte, musste ich unwillkürlich an Vulk denken. »Kleinerr Blume   …« Ohne dass ich es wollte, zuckte ich zurück. Ich hätte es ihm gern erklärt, ihm erzählt, was in der Nacht im Wald passiert
     war, wie es sich anfühlte, gejagt zu werden. Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich musste weinen. Ich wünschte, er würde
     mich in die Arme nehmen und trösten, mich beschützen. Aber er sah mich bloß verärgert an. Dann ging er zu Emanuel in den anderen
     Wohnwagen. Warum blieb er nicht bei mir? In meiner Einsamkeit und Angst bat ich ihn, mir wenigstens den Hund dazulassen, obwohl
     ich das Vieh gar nicht besonders mochte – wie er hemmungslos die Schnauze zwischen meine Beine steckte und mich mit seinen
     Hundeaugen anstarrte.
    Mitten in der Nacht fing der Hund zu bellen an. Ich wachte auf, und als ich die Scheinwerfer eines Autos sah, das auf das
     Feld fuhr, packte mich die Verzweiflung. Ich dachte, das wäre das Ende. Vulk war da, er war gekommen, mich zu holen.
    |221| Mein Kopf sagte, lauf, aber ich konnte nicht mehr. Ich war zu müde zum Weglaufen, als wären nicht nur meine Beine, sondern
     auch mein Kopf aus Blei. Dabei war mir heute so leicht ums Herz geworden, als ich um den Hals des Hundes meine orange Schleife
     entdeckte. Und dann hatte ich unseren lieben kleinen Wohnwagen auf dem Feld erblickt. Er steht an der falschen Stelle, hatte
     ich noch gedacht. Das muss ein Traum sein – der Duft nach Geißblatt in der Luft, der Hügel im trügerischen rosa Abendlicht.
     Die Tür war nicht verriegelt. Die Sonne hatte den Wohnwagen aufgeheizt, und es roch nach Erdbeeren, und da standen sechs volle
     Schüsseln auf dem Tisch. Für wen waren sie bestimmt? Es war wie im Märchen. Ich konnte nicht anders und fiel über die Erdbeeren
     her. Wer hatte sie gepflückt? Ich sah mich um. Auf dem Boden lag ein leuchtend grüner Anorak, der mir bekannt vorkam. Und
     da, im Spind über der Koje, lag meine gestreifte Segeltuchtasche! Ich sah hinein. Mein Nachthemd, meine Bürste, mein T-Shirt , etwas schmutzige Wäsche, sogar mein Geld. Es sah aus, als hätte jemand darin herumgewühlt, aber es war alles noch da. Sogar
     die Bilder an den Wänden: David Beckham, die Schwarze Madonna von Tschenstochau, ein Robbenbaby, ein Tigerwelpe und ein kleiner
     Panda. Meine Eltern. Alle waren noch da. Und dann tauchten Andrij und Emanuel auf, und ich wusste, dass es kein Traum war,
     und ich dachte, endlich. Endlich bin ich in Sicherheit.
    Nein, ich konnte nicht mehr davonlaufen. Stattdessen verkroch ich mich unter dem Doppelbett, wie ein gejagtes Tier, das in
     ein Erdloch kriecht, tief in die Erde, wo es sich sicher fühlt. Ich zog die Schlafsäcke um mich herum und rollte mich zusammen.
     Irgendwann wurde es still draußen, und ich hatte mich wohl in den Schlaf geweint. Ich weiß nicht mehr, was ich träumte in
     dieser Nacht. Ich erinnere mich |222| nur, dass es ein Traum von Leere und Verzweiflung war, als würde mein Lebenskelch zur Neige gehen.
    Doch am Morgen stellte ich überrascht fest, dass ich noch lebte und unter dem Bett lag. Durchs Fenster schien die Sonne herein,
     und ich hörte, wie Andrij und Emanuel draußen über das Feld liefen und meinen Namen riefen. Als er meinen Namen aussprach
     – »Ii – rii – na!«   –, lief mir ein Schauer über den Rücken. Am Ende zeigte ihnen der Hund mein Versteck, und wir mussten alle lachen. Dann gab
     es Frühstück   – Erdbeeren, Brot und Margarine, mal wieder, und schließlich sagte Andrij: »Wir fahren nach London, um Emanuels Freund Toby
     McKenzie zu suchen. Sollen wir dich zur Erdbeerfarm zurückbringen, Irina?«
Ii-rii-na.
»Oder willst du mit uns kommen?«
    »Ich will mit euch kommen.«
     
    Liebe

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