Caravan
mit Lebensmitteln, wenn die anderen rufen – wirklich, er fühlt sich wie ein Sklave mit zehn Herren, von denen Dora, die Kroatin
oder Montenegrinerin ist und keine Schönheit, am schlimmsten ist.
Im Laufe des Abends kommt immer weniger Geschrei von Gilbert, und dafür umso mehr von Dora. Noch mehr |262| schmutzige Teller zu spülen. Noch mehr Seife und Dampf. Er hat jetzt schon einen juckenden Ausschlag zwischen den Fingern.
Unter Tage konnte man wenigstens das Tempo selbst vorgeben. Wenn Gilbert rausgeht, um eine Zigarette zu rauchen, lassen die
Kolumbianer ihn manchmal eins der besonderen Gerichte kosten, aber nach einer Weile tut ihm der Bauch genauso weh wie der
Rest seines Körpers, und er will sich einfach nur an die offene Hintertür setzen, wo ab und zu eine leichte Brise vorbeikommt
und die suppige Luft auffrischt.
Manchmal, wenn die Schwingtür aufgeht, erhascht er einen Blick auf Irina, die im Restaurant von Tisch zu Tisch gleitet – man
hat sie für die Getränke eingeteilt, und so kommt sie selten in die Küche. Sie hat sich das Haar zu zwei Zöpfen geflochten,
was sie noch jünger aussehen lässt, wie ein sinnliches Schulmädchen in ihrer schwarzweißen Uniform. Wenn sie durch den Raum
geht, sieht man, wie die Blicke der Männer an ihr kleben. Warum lächelt sie so? Warum ist ihre Bluse so tief ausgeschnitten?
Warum musste sie sich so einen kurzen Rock kaufen? Wenn sie sich vorbeugt, um jemandem ein Glas Wein einzuschenken, sieht
man … nein, nicht ganz. Aber wie der Kerl da stiert!
Lange nachdem die Köche und das Service-Personal gegangen sind, müssen die Tellerwäscher sauber machen und den Boden wischen
und alles für den nächsten Tag vorbereiten. Irina wartet im Gastraum. Sie sitzt auf einem Stuhl, hat die Füße auf einen anderen
gelegt und isst, was die Kolumbianer ihr hingestellt haben.
Es ist fast eins, als sie gehen können. Die Nacht ist still und sternenklar. Andrij atmet die kühle, rauchige Nachtluft tief
ein, bis ihm schwindlig davon wird. Bis zum Wohnwagen müssen sie noch gut eine halbe Stunde laufen. Er setzt einen Fuß vor
den anderen, wie ein Roboter. Rabota. Das |263| russische Wort für »Arbeit«. Das trifft es genau. Er ist eine Maschine, die arbeitet.
»Nicht so schnell, Andrij.«
Er hat nicht gemerkt, dass sie kaum Schritt halten kann.
»Tut mir leid.«
»Hier, Andrij. Das ist für dich. Ich kann dir schon zurückzahlen, was du mir geliehen hast.«
Sie greift in ihren viel zu tiefen Ausschnitt und holt einen zusammengerollten Zwanzigpfundschein heraus.
»Wo hast du das her?«
»Hat mir jemand zugesteckt. Ein Gast.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht, warum. Er hat es mir einfach gegeben. Ich habe ihm nur ein Glas Wein gebracht.«
»Ich habe gesehen, wie er dir in den Ausschnitt gestarrt hat. Du bist angezogen wie ein Flittchen.«
»Nein, bin ich nicht. Ich bin angezogen wie eine Kellnerin. Sei doch nicht so dumm, Andrij.«
»Behalt dein Geld. Ich will es nicht.«
»Nein, nimm es. Es ist deins. Ich habe es mir nur ausgeliehen. Was ist denn mit dir los?«
»Ich habe gesagt, ich will es nicht.«
Er steckt die Hände in die Hosentaschen und senkt den Kopf, und sie gehen schweigend weiter. Was ist bloß mit ihm los?
Wie der alte Mann mich anstarrte, das jagte mir einen Schauer über den Rücken, wie krabbelnde Maden. Er griff nach seiner
Brieftasche, zog einen Zwanzigpfundschein heraus, rollte ihn genüsslich zwischen den Fingern, und dann, als ich mich mit seinem
Glas vorbeugte, schob er ihn mir in den Ausschnitt. Dort spürte ich den Schein den ganzen Abend, steif und kratzig zwischen
meinen Brüsten.
|264| Im Restaurant herrschte viel Betrieb, alle Tische waren besetzt, ein paar Gäste mussten sogar auf einen Tisch warten, die
Kellner eilten geschäftig durch den Raum, versuchten, nicht aus dem Takt zu kommen, und Zita, die Managerin, stolzierte mit
ihrem Lippenstiftlächeln durch den Saal und führte die Leute an ihre Plätze. Der Alte saß direkt am Fenster, und es hatte
wahrscheinlich niemand mitbekommen. Vielleicht hätte ich den Schein zurückgeben sollen. Aber dann dachte ich, den Typen sehe
ich nie wieder, und ich kann Andrij gleich sein Geld zurückzahlen, was es einfacher zwischen uns machen wird. Doch Andrij
hatte mal wieder schlechte Laune, und das war das Letzte, was ich gebrauchen konnte, denn ich hatte schon genug Unerfreuliches
für einen Abend gehabt.
Und der unerfreulichste Gedanke war
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