Caravan
der Welt mit solchen toten Zombieaugen?
»Andrij?«
»Was ist?«
»Wir können nicht hierbleiben.«
»Warum nicht?«
»Die Kinder – die werden zurückkommen, wenn wir schlafen. Sie werden den Wohnwagen anzünden, und uns mit.«
»Das machen sie bestimmt nicht.«
Warum kann sie nicht einfach die Klappe halten und ihn in Ruhe lassen?
»Vielleicht doch. Selbst wenn sie nicht heute Nacht wiederkommen, hier ist der Wohnwagen nicht mehr sicher. Irgendwann kommen
sie garantiert zurück.«
»Wir können morgen umziehen.«
Er hat das Gefühl, die Müdigkeit sickert durch seinen Körper wie geschmolzenes Metall und härtet in seinen Gliedern aus. Er
muss sich die Schulter gezerrt haben, als er den Jungen gepackt hat, und auch in Rücken und Beinen hat er diffuse Schmerzen.
Er braucht Schlaf.
»Morgen früh sind zu viele Leute unterwegs. Es wäre einfacher, jetzt was zu finden. Komm, wir fahren jetzt gleich weg.«
»Wo willst du hin?«
|270| »Ich weiß nicht. Irgendwo. Vielleicht finden wir einen Platz, der näher am Restaurant ist.«
Also nimmt er einen Ziegelstein und hämmert das Vorhängeschloss am Tor auf. Es geht ganz leicht. Und sie hat recht – es ist
wirklich einfacher, nachts zu fahren. Einmal legt er sogar den vierten Gang ein, und zwar ohne den Rückwärtsgang zu erwischen.
Ihm fällt eine kleine Gasse ein, nicht weit vom Hinterausgang des Restaurants, wo manchmal ein paar Autos stehen. Das reicht
fürs Erste. Ist ja nur vorübergehend. Bald wird er weiterziehen.
Nach der Sache mit den Kindern war Andrij noch schlechter gelaunt. Ich versuchte Witze zu machen und ihn aufzumuntern, aber
mit jedem Tag wurde er mürrischer, und dauernd redete er davon, dass er nach Sheffield wollte, sobald wir unseren ersten Wochenlohn
hatten.
An Trinkgeld, das die Gäste auf dem Tisch liegen ließen, hatte ich schon rund achtzig Pfund zusammen. Ich wollte mit ihm teilen,
aber er schüttelte den Kopf und sagte mit einem Gesicht wie Bauchschmerzen, nein, behalt es, und dann sagte er, er hätte den
Job satt, und außerdem würde er ohnehin bald nach Sheffield gehen. Was war los mit ihm? Er konnte doch nicht immer noch beleidigt
sein wegen der zwanzig Pfund?
Also ging ich noch mal in den Laden mit dem Ausverkauf und kaufte mir eine andere Bluse, die nicht so tief ausgeschnitten
war. Ich dachte, dann wäre er zufrieden, aber das war er nicht. Er fand den Ausschnitt immer noch zu tief und meinen Rock
zu kurz. Warum war er bloß so ein Spielverderber? Es war ein hübscher Rock, der nur bis kurz über die Knie ging, und er war
gut geschnitten und hatte ein schönes seidiges Futter, und außerdem kostete er weniger als die Hälfte, nur weil ein Knopf
fehlte, den ich schnell wieder |271| annähen konnte. Und er hatte eine tiefe Tasche, in der ich das Trinkgeld sammeln konnte. Mir wurde klar, dass ich nichts tun
konnte, um Andrij zufriedenzustellen. Na ja, wenn ihm meine Kleider nicht gefielen, war das sein Problem. Warum fuhr er nicht
endlich nach Sheffield, statt hier herumzuhängen und mir auf die Nerven zu gehen?
Am nächsten Morgen beschloss ich, zu Fuß zum ukrainischen Konsulat zu gehen und einen neuen Pass zu beantragen. Ich hatte
immer noch etwas von meinem Trinkgeld übrig, und so warf ich einen Blick in die erste, sehr teure Modeboutique von neulich.
Also wirklich, was die Kleider hier kosteten – es verschlug einem den Atem. Ich war eine ganze Stunde dort, probierte ein
paar Klamotten an, probierte noch mehr Klamotten an, betrachtete mich im Spiegel. Am Ende schaffte ich es nicht zum Konsulat.
Da war eine Hose, von einhundertzwanzig Pfund auf dreißig heruntergesetzt. Sie war schwarz, auf Hüfte geschnitten und sehr
eng. Ehrlich gesagt, sie saß phantastisch. Ich wusste, Andrij würde die Hose hassen.
Als ich zum Wohnwagen kam, war Andrij schon zum Restaurant gegangen. An der Windschutzscheibe des Landrovers hing ein seltsamer
gelbschwarzer Aufkleber. Ich zog ihn ab und steckte ihn ein, um ihn Andrij nachher zu zeigen. Außerdem klemmte da so ein Ding
am Vorderrad des Landrovers, und auch hinten an einem Rad des Wohnwagens. Das war ja komisch. Aber Andrij wusste bestimmt,
wie man die Dinger abkriegte. In der Mittagsschicht herrschte so viel Betrieb, dass ich nicht dazu kam, mit Andrij zu sprechen.
Außerdem machte er ein Gesicht, dass ich versuchte, ihm lieber nicht über den Weg zu laufen.
Dann kam jemand ins Restaurant, der alles noch schlimmer
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