Carina - sTdH 3
weggeworfen hast.«
Carina
blickte schließlich doch zu ihm auf, aber ihre Augen waren so grün und kalt wie
die Nordsee. »Ich werfe mich wohl kaum weg, wenn ich mich mit einem
freundlichen und gutaussehenden Edelmann verlobe.«
»Natürlich
bist du wütend auf mich«, sagte er einschmeichelnd. »Ich verdiene nichts
Besseres. Was kann ich tun, damit du mir verzeihst?«
Carina
fühlte sich plötzlich unendlich müde. Es war ihr auf einmal alles zuviel. In
ihrem Kopf drehte sich alles: Ihre Furcht vor Lord Harry, ihr Haß auf ihren
Vater, ihre geringe Selbstachtung, all das begrub sie unter einer großen, nicht
zu beherrschenden Woge von Abscheu gegen sich selbst. Sie wollte die ganze
weite Welt bestrafen – und bei sich selbst anfangen.
»Mit mir
davonlaufen«, sagte sie ganz ruhig, nachdem sie tief Atem geholt hatte.
Guys
Gedanken arbeiteten blitzschnell. Dahin waren seine Hoffnungen auf eine
Hochzeit mit Emily. Er brauchte Carina natürlich nicht zu heiraten. Vielleicht
konnte er sie irgendwo verbergen und sie ihrer Familie unberührt übergeben.
Vielleicht erzählte sie ihnen aus Scham gar nicht, wo sie gewesen war.
Offensichtlich hatte sie auch von ihrem letzten Versuch, mit ihm
durchzubrennen, niemandem etwas erzählt.
Aber da war
noch Harry Desire. Er würde allerdings mit einem Mädchen nichts zu tun haben
wollen, das ihn unmittelbar vor der Hochzeit sitzenließ.
»Einverstanden«,
nickte Guy und fühlte ihren durchdringenden Blick auf seinem Gesicht. »Wann?«
»Morgen«,
antwortete Carina. »Ich meine, heute nacht um zwei Uhr. Warte hier auf mich.«
»Bist du sicher,
daß du unbemerkt entwischen kannst?« fragte Guy besorgt.
»O ja«,
sagte Carina einfach. »Laß mich jetzt gehen. Ich muß zurück. Es ist kalt.«
Guy
versuchte sie zu umarmen, aber sie stieß ihn entschieden weg. »Nicht hier in
der Öffentlichkeit.«
Sie machte
sich von ihm los und eilte über die schneebedeckten Wege. Dabei ging sie so
schnell, daß sich ihr Mantel über ihrer zierlichen Figur bauschte.
Guy
beobachtete sie mit heftigem Herzklopfen. Er mußte überlegen, wohin er sie
bringen sollte. Er mußte beten, daß sie niemandem von ihrem Plan erzählte.
Carina war
von einer wilden Genugtuung erfüllt. Sie machte sich keine romantischen
Illusionen mehr über Guy Wentwater. Sie hielt ihn jetzt für oberflächlich und
gemein. Und gerade deshalb wollte sie ihn heiraten.
Wir alle
haben den Todeswunsch in uns, und immer dann erhebt er seine häßliche Fratze,
wenn wir uns selbst nicht mehr lieben. Die Depressiven begehen Selbstmord. Aber
das ist nicht die feine Art. Der richtige Gentleman begeht Selbstmord, indem er
sich regelmäßig harte Schnäpse einverleibt oder sich unbewaffnet in verrufene
Stadtteile begibt. Junge Damen aber suchen einen Mann, der sie ruiniert.
Wenn sie
Guy Wentwater heiratete, konnte Carina sich selbst bestrafen und obendrein noch
ihren Vater im höchsten Grad unglücklich machen. Das Schicksal schien ihr bei
ihrem Vorhaben zur Seite zu stehen, denn der Vikar war kurz nach Hopeworth
gereist wegen dringender Gemeindeangelegenheiten – sprich gutes Jagdwetter –
und ließ Squire Radford zurück, um sein schlechtes Gewissen zu besänftigen.
Der Squire hatte jedoch einen akuten Rheumaanfall und war ans Bett gefesselt.
Minerva war
sich plötzlich bewußt geworden, daß sie sehr vielZeit ohne
ihr geliebtes Kind verbracht hatte, während sie versuchte, Carina von Lord
Harry fernzuhalten. Aber Lord Harry hielt sich auch ohne Bemühungen fern, und
so war Minerva entschlossen, den ganzen Tag zu Hause zu bleiben und sich nach
Herzenslust mit ihrem Baby zu beschäftigen.
Lord Harry
Desire stattete seinem Onkel, Mr. Jeremy Blewett, einen Besuch ab.
Mr. Jeremy
Blewett sah in der Tat sehr alt aus. Er war in Wirklichkeit erst
zweiundfünfzig, aber ein Leben unter der heißen Sonne Indiens in Verbindung mit
unmäßigem Alkoholgenuß hatte ihn vorzeitig altern lassen, so daß er schließlich
einer ausgetrockneten Schrumpfmumie glich.
Er hatte
schon so lange über seinen Tod gesprochen, daß jeder es als überraschend
empfand, daß er immer noch lebte. Abgesehen von seinen Augen, die lebhaft und
leuchtend waren, sah er auch wie ein Toter aus und roch auch oft so, was
allerdings eher auf seine Abneigung gegen Bäder zurückzuführen war.
»Was führt
dich her? Als ob ich fragen müßte!« gackerte Mr. Blewett, als Lord Harry in sein
Schlafzimmer geschlendert kam. »Du bist gekommen, um zu sehen, ob ich
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