Carina - sTdH 3
glücklich, dich in so guter Verfassung anzutreffen«, antwortete Silas
Dubois und kam näher, um Mr. Blewett die Kissen liebevoll aufzuschütteln.
Den
Bruchteil eines Augenblicks standen seine Hände still. Wie einfach wäre es,
dachte er, dieses Spitzenkissen zu ergreifen und es dem alten Mann aufs Gesicht
zu pressen!
Silas
merkte, daß Mr. Blewett mit geradezu teuflischer Freude zu ihm aufschaute, als
ob er seine Gedanken lesen könnte. Er ließ das Kissenaufschütteln sein und
stahl sich ans Fußende des Bettes.
Warum einen
Mord begehen? Der morgige Tag würde die Gedanken des alten Mannes in andere
Bahnen bringen. Und sehr lange konnte er ohnehin nicht mehr leben.
Als
Carina das
Frühstückszimmer betrat, traf sie dort auf Minerva, die gerade einen Brief an
Mrs. Armitage schrieb, die mit den jüngeren Mädchen in Hopeworth geblieben
war.
»Wo ist
Seine Lordschaft, das Baby?« fragte Carina.
»Er
schläft«, lächelte Minerva. »Ach, es ist so wunderbar, einmal nichts
vorzuhaben! Ich werde es mir heute ganz gemütlich machen. Du meine Güte! Da ist
jemand gekommen. Ich sage einfach, daß wir nicht zu Hause sind.«
»Lord Harry
Desire«, meldete der Butler der Comfreys. »Sagen Sie Seiner Lordschaft, wir
sind nicht zu Hause«, sagte Minerva schnell.
»Sagen Sie
Seiner Lordschaft, wir sind zu Hause«, verbesserte Carina ärgerlich. Jetzt, wo
sie sich auf den gesellschaftlichen Ruin und die persönliche Erniedrigung
eingestellt hatte, hatte sie plötzlich keine Angst mehr vor Lord Harry.
Außerdem spürte sie die alte Auflehnung gegen Minervas bestimmende Art.
»Nun, wenn
du ihn wirklich sehen willst...?« begann Minerva. Aber Carina hatte das Zimmer
bereits verlassen. Minerva zögerte –
sie wäre ihr gerne
nachgegangen. Aber dann entspannte sie sich wieder. Sylvester hatte
versprochen, in der nächsten Zeit mit Lord Harry zu reden, und Carina wäre
nicht so eifrig weggeeilt, wenn sie sich so sehr fürchten würde.
»Sind Sie
gekommen, um mit mir auszufahren?« fragte Carina, als sie in der Halle auf Lord
Harry traf.
»Nein«,
lächelte er. »Ich bin gekommen, meine Liebe, um mit Ihnen ein paar wichtige und
ernste Dinge zu besprechen.«
»Oh«,
machte Carina ängstlich. Dann faßte sie sich wieder. Esspielte
keine Rolle, was er sagte; sie sah ihn heute sowieso zum letztenmal. Es kam ihr
kein einziges Mal in den Sinn, daß Lord Harry in irgendeiner Weise gekränkt
sein könnte, wenn sie ihn sitzenließ. So ein Dummkopf hatte ungefähr soviel
Gefühl wie ein Rindvieh, das auch nichts begreift. Eigentlich ist er so eine
Art aristokratischer Bauer, dachte sie, und amüsierte sich kurz über diesen
geistreichen Einfall.
»Gut, wohin
gehen wir?« fragte er und machte Carina damit bewußt, daß sie beide immer noch
in der Halle standen.
Sie ging
voraus zur Bibliothek.
Lord Harry
stellte sich vor den Kamin und sah ihr Gesicht mit seinen ruhigen, blauen Augen
forschend an. Sie ist so angespannt wie eine Geigensaite, dachte er, sie sieht
aus wie jemand, der im nächsten Augenblick von der Westminster Bridge springt
... oder mit Guy Wentwater durchbrennt.
»Haben Sie
eigentlich Ihren Bekannten, der in Waterloo gekämpft hat, wieder einmal
gesehen?« fragte er. »Wie hieß er noch ... Wentwater?«
»Nein«,
sagte Carina nach Luft ringend. »Warum fragen Sie?«
»Ich weiß es nicht. Ich
mache Konversation, merken Sie das nicht?«
»Was für
wichtige und ernste Dinge wollten Sie mit mir besprechen?« fragte Carina.
»Sie
sollten Braun nicht tragen«, sagte er streng. »Es steht Ihnen überhaupt nicht.
Es ist so eine schlammige Farbe. Nicht das Wahre.«
Er klemmte
sein Monokel ein und starrte Carinas einfaches weites Gewand mit einem
schrecklich vergrößerten Auge an.
»Ist das
eine von den ernsten Angelegenheiten?« fragte Carina scharf.
»Nein, das
heißt, ja, in gewisser Weise schon. Kleider sind sehr wichtig. Ich zum Beispiel
sehe gut in Blau aus. Damit wirke ich zugänglicher.«
Carina
schaute auf seinen makellosen Ausgehrock, seine wunderschönen Rüschchen am
Hemd, seine harmlosen großen Augen, und ihre Lippen kräuselten sich vor
Verachtung.
»Um aber
auf die ernsten Dinge zu kommen«, sagte er. »Können wir uns nicht setzen?«
»Natürlich.«
Carina setzte sich steif auf ein kleines Sofa vor dem Feuer, und er ließ sich
elegant neben ihr nieder.
Er schaute
sie besorgt an; seine schwarzen Locken fielen ihm in die Stirn. Carina bemerkte
zum erstenmal, daß seine Wimpern außergewöhnlich lang
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