Carina - sTdH 3
Scham und Verlust.
Eine
Stunde später
betrat Lord Harry seine Wohnung und schaute seinen Schweizer Diener
nachdenklich an.
»Was gibt
es heute Neues, Bruno?« fragte er, während er seine Reithandschuhe abstreifte.
»Mylord«,
seufzte der Diener, »ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten. Ich ließ Miss
Armitage verfolgen, wie Sie es gewünscht haben. Der Mann, der das Haus St.
James' Square beobachtet hat, um zu melden, wenn die Lady allein ausgeht, ist
zu mir gekommen und hat gesagt, daß er ihr in den Green Park gefolgt ist, und
da hat sie einen Mann getroffen, der sie umarmt hat, so«, fügte er hinzu und
umarmte sich selbst, um seinen Worten mehr Nachdruck zuverleihen.
»Unser Mann hat sich hinter dem Baum versteckt, und er hat nicht alles hören
können, aber er hat gehört, daß die Mademoiselle ›zwei Uhr morgens im
Park‹ gesagt hat.«
»Danke,
Bruno. Du kannst dem Wachhund absagen«, sagte Lord Harry und betrachtete
intensiv den Faltenwurf seines Jabots im Spiegel.
»Mylord«,
sagte sein Diener voller Bedauern, »unser Mann sagt, daß die Miss, meint er,
durchbrennen will.«
»So ist es.
Bezahl ihn gut.«
»Sehr
wohl.«
Bruno
verließ den Raum unter Verbeugungen und schüttelte den Kopf über die
eigenartigen Engländer.
Achtes
Kapitel
Minerva war sehr schlecht auf ihre
Schwester zu sprechen. Sie hielt ihr einen langen und ernsten Vortrag darüber,
daß sie es in ihrem Egoismus zugelassen hatte, daß die Hochzeitsvorbereitungen
bereits derart weit gediehen waren. Carina hatte, sagte Minerva, den armen
Papa zu einer Art Ungeheuer gemacht als Ausrede dafür, daß sie selbst immer
tiefer in den Schlamassel geriet.
Carina
verteidigte sich schwach damit, daß Papa nicht ganz unschuldig sei und daß ein
Mann, der seine Tochter mit der Peitsche über die Felder jage, nicht gerade als
liebevoller und einfühlsamer Vater bezeichnet werden könne, aber Minerva hörte
gar nicht zu.
Lord
Sylvester, sagte sie, war es ungeheuer schwer gefallen, mit Lord Harry zu
reden. Lord Harry sei ein perfekter Gentleman und in Wahrheit viel zu reif und
gebildet für so einen herzlosen Treibauf wie Carina.
Der Vortrag
wäre bestimmt noch lange so weitergegangen, wenn nicht Lord Sylvester
eingegriffen und seine Frau damit aufgezogen hätte, daß ihre Moralpredigt ihm
Kopfschmerzen bereite.
Es stellte
sich heraus, daß Carinas einzige Verbündete das Mädchen Betty war. Betty hatte
erfahren, daß Sir Edwin John Summer eine Arbeitsstelle im Herrenhaus angeboten
hatte. Hätte er sie angenommen, dann hätte es für sie zum Heiraten gereicht.
Aber John hatte stolz abgelehnt und gesagt, er würde Hochwürden niemals im
Stich lassen.
Männer!
»So
schlecht sind Sie gar nicht, Miss«, sagte Betty besänftigend, als sie Carina
bei den Vorbereitungen für den Ball half. »Ich habe gehört, was Mylady gesagt hat.
Aber Sie sind sehr jung für Ihr Alter, und mit dem Vikar ist nicht gut Kirschen
essen. Aber Ende gut, alles gut, denn jetzt müssen Sie keinen Mann heiraten,
den Sie nicht wollen, und wir können wieder alle gemütlich beisammen sein.«
Carina
hörte sich unglücklich und stumm Bettys Lebensweisheiten an. Sie hatte immer
gedacht, wenn es ihr erst gelungen wäre, sich von Lord Harry zu befreien,
würden ihre Erleichterung und ihr Glück keine Grenzen kennen. Sie hätte nie
gedacht, daß sie sich so niedergeschlagen fühlen würde und ... ja ... so dumm,
denn wie ein verwöhntes Kind, das damit angibt, daß es sich nichts aus einem
wertvollen Spielzeug macht, und dann doch bitterlich weint, wenn es ihm
weggenommen wird, benahm sie sich.
Darüber
hinaus hatte Lord Harry sie getäuscht. Carina wußte jetzt, daß er sich
verstellt hatte, um dumm zu erscheinen. Aber nicht nur das. Er hatte ihr ganz
bewußt zu verstehen gegeben, daß sie überhaupt keine Ahnung von Politik hatte.
Carinas etwas vage Vorstellungen von politischen Diskussionen bestanden darin,
daß sie die Ansichten von jemandem hörte und diese dann prompt dem nächsten,
der ihr über den Weg lief, mitteilte. Ihr wurde bewußt, daß sie kaum je Zeitung
las.
Alles, was
sie im Grunde über die Schlacht von Waterloo wußte, waren Geschichten, die
einer dem anderen erzählte. Von Guys Erzählungen über die Schlacht hielt sie
gar nichts mehr. Wahrscheinlich war er überhaupt nicht dort gewesen.
Minerva war
schuld an allem, denn Minerva hatte immer nachsichtig
über Carinas Ansichten gelacht und gesagt, »unsere kleine Carina ist der Kopf
der Familie«,
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