Carina - sTdH 3
belästigt.
Wenn wir sie beide suchen, werden wir halb totgedrückt.
Es ist
nicht ganz comme il faut, Sie ohne Anstandsdame in einer geschlossenen
Kutsche heimzubringen, aber ich kann mir nicht helfen, Ihre Familie würde Sie
nicht gern in einer solchen Umgebung sehen. Deshalb glaube ich, es ist das
kleinere Übel, wenn Sie mit mir weggehen.«
»Ja, lassen
Sie uns gehen«, sagte Carina, die nicht gerne zugeben wollte, daß sie das
Benehmen der Gäste schockierte, um nicht zu naiv zu wirken. Sie freute sich
darauf, mit ihm allein zu sein, weg von diesem Trubel, und sei es auch nur für
kurze Zeit.
Als sie
sich ihren Weg durch die Salons bahnten, sah Carina plötzlich Lady Godolphin,
die mit Colonel Brian in einer Loge saß. Sie schienen eine heftige
Auseinandersetzung zu haben. Ihr Schritt stockte. »Was ist los?« fragte Lord
Harry. »Haben Sie Lady Godolphin gesehen?«
»Nein«, log
Carina und wandte den Kopf entschlossen in die falsche Richtung.
Allein mit
ihm in der dunklen Kutsche, fand sie sein Schweigen geradezu unerträglich. Auf
einmal befürchtete sie, wieder Minerva übergeben zu werden, wo doch der Abend
gerade erst begonnen hatte.
Und
vielleicht würde sie ihn danach nie wiedersehen.
»Es ist
erst elf Uhr«, begann sie zaghaft. Sie lachte ein verlegenes Lachen, das ihr
selbst künstlich vorkam. »Es ist zu früh, um ans Bettgehen zu denken.«
»Das ist
wahr«, stimmte Lord Harry zu, »aber da ich jetzt die Verantwortung für Sie
übernommen habe, ist es am besten, ich bringe Sie auf dem schnellsten Weg zu
Lady Sylvester.«
»Wo wohnen
Sie?«
»In einer
Wohnung in der Bond Street, ganz in der Nähe, wo ich Sie traf.«
»Fühlen Sie
sich da wohl?«
»Sehr
wohl.« Seine Stimme klang belustigt.
»Ich würde
Sie gerne einmal besuchen.«
»Mit
Vergnügen.«
»Ich könnte
Sie jetzt besuchen.«
»Sie
schockieren mich, Miss Carina. Sie werden nicht im Ernst daran denken, meine
Junggesellenwohnung zu dieser Tageszeit aufzusuchen.«
»Es würde
ja niemand merken, abgesehen von Ihren Dienern. Ich möchte nicht so früh ins
Bett gehen.«
»Nana, wann
gehen Sie denn ins Bett, wenn Sie daheim sind?«
»In Hopeworth? Im Winter um
neun Uhr und im Sommer später.«
»Dann
müßten Sie schon längst im Bett liegen.«
»Aber hier
geht keiner ins Bett, bevor es dämmert, kein Mensch auf der Welt«, sagte Carina
und meinte die Welt zwischen dem St. James' Square und dem Grosvenor Square.
»Haben Sie
keine Angst davor, was passieren könnte, wenn Sie allein mit mir in meiner
Wohnung sind?«
»Ich bin
überzeugt davon, daß Sie sich wie ein Gentleman benehmen würden.«
»Ich könnte
der Versuchung erliegen, Sie zu küssen, Carina.«
»Nun«, stammelte Carina, »das
wäre ganz und gar unpassend, da wir doch nicht heiraten werden.«
»Nein. Auf
der anderen Seite würde ich schon gerne heiraten, wie Sie wissen, und wie Sie
auch wissen, bin ich faul. Allein schon der Gedanke, hinter Frauen herzulaufen
und ihre Familien kennenzulernen, ermüdet mich. Ich kenne Ihre Familie
bereits, und Sie die meine. Wie schade, daß wir nicht heiraten. Es würde mir
viel Mühe ersparen, auch wenn diesmal niemand mehr zur Verlobung kommen und uns
etwas schenken würde. Sie sagen jetzt sicher, daß das alles Unsinn ist.«
»Ja«, sagte
Carina.
Die Kutsche
hielt vor dem Wohnsitz der Comfreys am St. James' Square. Das große Haus war
dunkel. »Ich kann Sie nicht einmal bitten, mich hineinzubegleiten«, sagte sie
traurig. »Alle scheinen schon zu Bett gegangen zu sein.«
Ein Diener
öffnete die Kutschtür.
»Schließen
Sie wieder«, sagte Lord Harry lässig. »Wir sind noch nicht bereit,
auszusteigen.«
Der Diener
schloß die Tür.
»Wo waren
wir?« sagte Lord Harry. »Ah ja, wir sprachen vom Heiraten. Natürlich war ich
ziemlich niedergeschlagen, als Ihr Vater und Lord Sylvester mir sagten, daß Sie
Angst vor mir haben. Jetzt frage ich Sie, was fürchten Sie an mir? Ich bin
sauber, zahm, habe noch alle Zähne, und die Haare gehen mir auch noch nicht
aus.«
»Es ist
sehr schwierig zu erklären ...«
»Versuchen
Sie es. Mein Glaube an die wahre Liebe wurde schwer erschüttert.«
»Sie haben
mir Ihre Aufmerksamkeit zugewandt ... Sie haben mich mit äußerster Höflichkeit
behandelt.«
»Richtig.
Schlafwandeln Sie eigentlich immer noch?«
»Nein.«
»Schade.
Ich mag es, wenn Sie schlafwandeln. Zugegeben, ichhabe Sie
geküßt. War das so furchterregend? Das letztemal haben Sie sich nicht einmal
gewehrt.«
»Es
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