Carlotta steigt ein
hinterlassen. Ich folgte ihr.
Vier Schlafzimmer und ein
gekacheltes Bad gingen von einem engen Flur ab. Ich lugte durch jede Tür.
Eugenes Zimmer herauszufinden konnte nicht allzu schwer sein. Nur das linke
vorderste Zimmer, ein ziemlich großer Raum von etwa dreieinhalb mal fünf
Metern, hatte keine pastellfarbenen gerüschten Staubfänger und gekräuselte
Spitzengardinen.
In der schwach erhellten Diele
versuchte ich mir den Raum so vorzustellen, wie er vor dem Wirbelsturm
ausgesehen haben mochte, und machte mir Gedanken über den Mann, der dort 16
Jahre lang die Nächte verbracht hatte. Er wirkte nicht wie das Zimmer eines
56jährigen. Ich fragte mich, ob ich nicht vielleicht in Genes Kinderzimmer
geraten war, das als eine Art Familienheiligtum unverändert erhalten worden
war.
Ich betrachtete mir die anderen
Zimmer noch einmal, nur um ganz sicherzugehen. Rüschen und Spitzen. Puderduft.
Nur ein Zimmer roch nach Zigarrenrauch, das eine, auf das ich zuerst getippt
hatte.
Der schmale Messingkopfteil des
Bettes bestand aus Gitterstäben und Knäufen. Die Matratze war auf den Fußboden
gezerrt und an mehreren Stellen aufgeschlitzt worden. Drahtspiralen ragten wie
Stehaufmännchen aus der Sprungfedermatratze heraus. Über dem Bett hing ein
Riesenposter eines Red-Sox-Baseballhelden.
Die Untersuchungsbeamten hatten
also nach etwas Substantiellem gesucht und nicht nach einem Schlüssel, einem
Foto oder flachen Gegenstand, der hinter dem lächelnden Red-Sox-Typen hätte
kleben können.
Ich ging ein paar Schritte in
das Zimmer hinein und ließ meine Augen umherschweifen. Es ist schwierig, sich
anhand eines Zimmers ein Bild von jemandem zu machen, wenn das Zimmer zuvor von
Unbekannten demoliert und womöglich obendrein noch von der Polizei vollkommen
auf den Kopf gestellt worden ist.
Auf Flächen, die nicht mit
alten Baseball-Plakaten verziert waren, hatte Eugene mit Vorliebe die Fotos von
spärlich bekleideten Mädchen aus entsprechenden Illustrierten geklebt. Weiter
hatte der dekorative Ehrgeiz — in seinem Alter — offenbar nicht gereicht,
sofern nicht vor mir jemand die Picasso-Drucke von den helleren Rechtecken an
der Wand gestohlen hatte. Höchstwahrscheinlich war jedoch einfach nur Miss
September in Ungnade oder unter das Bett gefallen. Eugene las Soft-Pornos mit
Abenteuergeschichten, eine Art Harlekin-Romanzen für Männer. Ich fand die Titel
herrlich: Ehre und Stolz, Flammen der Ehre, Die Ehre der Waffenschmuggler. Eine
Menge Ehre auf jedem Cover; das und prallbusige, aus aufreizenden Morgenröcken
herausrutschende Frauen.
An dem Tag, als ich bei der
Polizei mit meinem ersten Mordfall konfrontiert war, brachte ich, wieder zu
Hause, mein Schlafzimmer in Ordnung. Warf all den überflüssigen Krempel hinaus,
den ich gehortet hatte, wunderte mich über den absonderlichen Kram, den ich
gedankenlos in die unterste Schublade meines Kleiderschrankes gestopft hatte
und über den die Cops eines unvermeidbaren Tages blöde grinsen würden. Die
Diätpillen, die ich in der Überzeugung gekauft hatte, zwei Pfund über dem für
meinen neuesten Bikini zulässigen Gewicht zu liegen. Mir wurde speiübel davon,
aber ich hatte so viel für diese dämlichen Pillen bezahlt, per Versand,
unbesehen, daß es mich zu sehr geärgert hätte, sie in den Abfall zu werfen. Statt
dessen hatte ich sie in die unterste Schublade gepfeffert, wo sie mit einem
bebilderten religiösen Erbauungsbuch zusammenfielen (sollte man es glauben?),
dem ersten Geschenk, das mir mein allererster Freund gab, als ich bereits ein
spätes Mädchen von vierzehn war. Ich warf die frühen Briefe von Cal, meinem
Ex-Mann, fort, die, zumindest im weitesten Sinne, vermutlich als Liebesbriefe
gelten würden. Heraus flog auch die alte Tube Verhütungsschaum, dazu die sexy
brusthebenden BHs und die zerrissenen Jeans, die ich in meinem 18. Sommer fast
ausschließlich getragen hatte. Ich fand und vernichtete einen Coupon für eine
Brustvergrößerungscreme, kitschige Glückwunschkarten, ein barmherzigerweise
fragmentarisch gebliebenes Tagebuch.
Wenn die Kripo morgen kommt und
mein Zimmer durchsucht, findet sie nicht viel Persönliches. Bilder von Mam und
Paps. Mein Hochzeitsalbum, ein erstaunlich unpersönliches Stück, da die
lächelnde Braut mir irgendwie völlig fremd ist. Tante Beas ovales Goldmedaillon
mit zwei Fotos verblichener junger Männer. Meine Tante Bea war nie verheiratet.
Ich habe keine Ahnung, wer diese zwei Männer sind oder was sie ihr bedeutet
haben,
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