Carlotta steigt ein
sich durchzusetzen.
«Da», sagte die Schwester ruhig
und zog die Spritze aus Margarets Hüfte. «Das Mittel wirkt schnell, machen Sie
sich also keine Sorgen, wenn Sie schläfrig werden. Vielleicht bleibt Ihre
Enkelin bei Ihnen, bis Sie eingeschlafen sind.»
Ich schenkte ihr ein
aufrichtiges, zustimmendes Angehörigenlächeln. Den Bullen waren widerwillig
drei Minuten gewährt worden. Ich hingegen hatte gerade unbegrenzte Zeit am
Krankenbett bewilligt bekommen, wenn auch bei einer unter Drogen stehenden
Klientin. Manchmal macht es sich bezahlt, nicht wie der typische Bulle
auszusehen.
«Morgen wird es ihr viel besser
gehen, mein Kind», versprach mir die Schwester beim Hinausgehen.
Ich lotste einen Stuhl nahe ans
Kopfende des Bettes, setzte mich und wartete.
«Gehen Sie», flüsterte
Margaret. Ich hatte sie nicht die Augen öffnen sehen, seit die Schwester
gegangen war, aber sie hatte den Kopf in meine Richtung gedreht, und ich nehme
an, daß sie heimlich gelinst hatte.
«Was wollte er?» fragte ich.
Sie schwieg und hielt die Augen
geschlossen.
«Haben Sie ihn gekannt?
Mehrere?»
Wieder nichts.
«War es Gene? Hat Ihr Bruder
Ihnen das angetan?»
Das riß ihr heiles Auge auf.
«Nein.»
«Warum versuchen Sie dann, es
zu vertuschen?»
Stille. Das Auge schloß sich
wieder.
«Hören Sie, Margaret, ich bin
kein Polizist. Ich bin auf Ihrer Seite. Sie haben mich bezahlt. Vielleicht kann
ich helfen. Sie sind nicht die Treppe hinuntergefallen. Und es hat auch kein
Tornado Ihr Haus verwüstet.»
Keine Antwort.
«Haben sie bekommen, was sie
wollten?»
«Nein.» Sie stieß das kurze
Wort mit grimmiger Befriedigung hervor. Noch einmal, und dabei brach ihre
Stimme.
«Wasser?»
Ich hielt das Glas, während sie
sich abmühte, mit ihren geschwollenen Lippen an dem Strohhalm zu saugen. Sie
zuckte bei der Berührung zusammen und drückte das Glas weg.
«Hören Sie.» Ihre Stimme war so
schwach, daß ich mich über das Bett beugen mußte. Sie ergriff meine Hand, die
von dem Glas eiskalt war. Ihre war noch kälter. «Finden Sie Gene. Bitte.»
«Ich suche. Und ich werde
weitersuchen.»
«Wenn ich sterbe —»
«Sie werden nicht sterben,
Margaret. Der Arzt —»
«Ärzte.» Sie spuckte das Wort
förmlich aus. «Eugene... wenn ich sterbe, ist niemand anders mehr da.»
Ich dachte, sie wäre
eingenickt, aber als ich meine Hand aus der ihren lösen wollte, zog sie mich
mit erstaunlicher Kraft näher zu sich. «Verstecken Sie’s für mich. Sagen Sie’s
niemand.»
Was immer sie ihr gegeben
hatten, Valium oder Morphium, es begann zu wirken. Ihr eines Auge war weit
offen und starrte blickleer zur Zimmerdecke. Ich weiß nicht, ob sie meine
Anwesenheit überhaupt wahrnahm.
«Was verstecken?» fragte ich.
Sie starrte mich verständnislos
an, als hätte sie mich noch nie im Leben gesehen.
«Was verstecken?» wiederholte
ich.
«Nach... Hause... gehen»,
murmelte sie. Die Worte kamen einzeln, abgehackt, wie ein neu aufsteigender
Gedanke. «Zu Hause... Dachboden... Spielzeugtruhe.»
«Eine Spielzeugtruhe auf dem
Dachboden?»
Sie blickte mich gespannt, ja
geradezu eindringlich mit dem einen umherschweifenden Auge an. «Zu Hause...
hinter... Truhe... Dachboden...» Sie sprach, wie Betrunkene gehen, wenn sie
geradeaus wollen, aber unkontrolliert torkeln. Sie brachte die Worte nicht
richtig heraus, und trotzdem mit Nachdruck. «Nach Hause... verstecken Sie
das... verstecken Sie’s. Gene...»
«Margaret, was hat Gene damit
zu tun? Haben Sie Gene gesehen?»
Sie gab auf, seufzte tief,
schloß das eine Auge und schlief ein.
Ich blieb noch ein Weilchen bei
ihr. Der Tropf gluckste. Der Sekundenzeiger der großen Uhr zog seine Kreise.
Margarets Atem wurde leiser und gleichmäßiger, ihre Hand wärmer.
Bevor ich ging, steckte ich
ihre Hand unter die dünne Bettdecke und strich ihr eine weiße Haarsträhne aus
der Stirn. Wie gesagt, ich habe meine Großmutter nicht mehr gekannt.
9
Ich hielt an einem Schnellimbiß
auf dem VFW-Parkway und bestellte mir Pastrami auf Roggentoast, zwei
mittelsaure Picklesorten und eine Dose Dr. Browns Vanillesodawasser. Das ist die
Art von Essen, mit der ich groß geworden bin, und obwohl die Imbißstuben
Bostons kein Vergleich mit denen meiner Kindheit in Detroit sind, finde ich sie
doch in Zeiten der Anspannung recht tröstlich.
Ich verschlang noch ein
Riesenstück Erdbeer-Käsekuchen zum Nachtisch. Ohne den Volleyball und meinen
Superstoffwechsel wäre ich garantiert genauso fett
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