Carlotta steigt ein
ins
Gelbliche. Auf den ersten Blick sah es noch schlimmer aus als gestern, doch als
sie den Kopf wandte, konnte ich sehen, daß die Schwellung zurückgegangen und
das Auge einen kleinen Spalt geöffnet war. Gerade fragte ich mich, wie
angegriffen sie wohl noch sein mochte, da sagte sie ruhig: «Dem Herrn sei Dank
für kleine Wohltaten. Endlich einmal keine Krankenschwester.»
«Wie fühlen Sie sich?» fragte
ich.
«Das fragen sie alle», murmelte
sie vor sich hin. «Dabei gibt keiner auch nur einen Pfifferling darum.»
Ich unterdrückte ein Lächeln, das
der Umgebung unangemessen war. «Erinnern Sie sich an mich?» sagte ich.
«Ich weiß, wer ich bin»,
erwiderte sie gereizt, «und ich weiß, wer Sie sind. Nun sind Sie bitte ein
nettes Mädchen, gehen rüber zur Aufnahme und holen mich hier raus. Hier werde
ich nie gesund. Sie lassen einen nicht schlafen, und das Essen ist ungenießbar.
Daß ich alt und krankenversichert bin, gibt ihnen doch nicht das Recht, mich
hierzubehalten. Jeder, der hier hereinkommt, gibt mir irgendwelche Spritzen,
stopft Pillen in mich hinein oder —»
«Stopp», sagte ich, «ich will
über das Geld in der Truhe mit Ihnen reden.»
Ihr Mund klappte zu, und alle
Farbe wich ihr aus dem Gesicht, als sei es mit einem Lappen saubergewischt
worden. Sie starrte auf den lautlosen Fernsehschirm, auf dem jetzt eine junge
Frau mit dem triumphalsten Erfolg ihres Lebens zu sehen war: ihrem frisch
geschrubbten glänzenden Küchenlinoleum. Die glückliche Hausfrau war so
begeistert, daß sie ein Tänzchen wagte. Roz hätte gekotzt.
«Miss Devens?» Als ich keine
Antwort erhielt, zog ich mir demonstrativ den Besucherstuhl näher und setzte
mich, um ihr klarzumachen, daß ich nicht die Absicht hatte zu gehen.
«Margaret?»
Sie wich meinem Blick aus und
bewegte beim Sprechen kaum die Lippen. «Ich wollte es nicht sagen. Es war unfair,
daß sie mir dieses Mittel gegeben haben und Sie dann Fragen stellten —»
«Sie haben mich gebeten, das
Geld zu verstecken, und ich hab’s gemacht. Ich möchte doch meinen, das
verschafft mir ein gewisses Recht auf ein paar Antworten.»
Ihre Hände flochten sich auf
der Bettdecke ineinander. Mit der linken Hand hing sie noch immer am Tropf. Sie
fingerte an dem Pflaster herum, das die Schläuche festhielt. «Zuerst müssen Sie
mir etwas versprechen», sagte sie langsam.
«Was versprechen?»
«Daß Sie nach Eugene suchen.»
«Ich habe nach Eugene gesucht.»
Sie schloß die Augen. Ihre
Lippen waren noch stark geschwollen, und ich mußte mich von meinem Stuhl nach
vorn beugen, um sie verstehen zu können. «Wenn ich Ihre Fragen beantworte, dann
- ich weiß nicht — dann wollen Sie vielleicht nicht mehr und gehen auf und
davon.»
«Wie kann ich etwas
versprechen, bevor ich Näheres weiß?»
Sie machte die Augen weit auf.
Kein Zweifel, sie hatte wirklich die gleiche halsstarrige Art wie meine Tante
Bea, die mir schon aufgefallen war, als sie in meinem Wohnzimmer im
Schaukelstuhl saß. «Wenn Sie’s nicht können», sagte sie mit aller Bestimmtheit,
«glaube ich, daß ich viel zu schwach bin, um auf Ihre Fragen zu antworten.»
Sie streckte den rechten Arm
aus und ergriff ein kleines schwarzes Kästchen an einer langen Gummischnur. Sie
hielt es so fest, daß die Handknöchel weiß wurden. «Dieser Summer ruft die
echte Schwester herbei, Miss Carlyle, und ich bin sicher, sie pflichtet mir
bei.»
Ich hätte lieber gleich gehen
sollen. Statt dessen zählte ich bis zehn und sagte dann: «Immer sachte, ich
habe Ihnen Ihr Kleid und Schuhe mitgebracht.»
«Danke sehr.» Ihre Hand
schwebte über der Schwesternklingel. Sie war eisern höflich.
«Kann ich Ihnen noch etwas
anderes mitbringen? Ein Buch?»
«Nein, danke.» Genauso eisern,
genauso höflich.
«Gut», sagte ich, «was halten
Sie von einem kleinen Handel? Ich suche weiter nach Ihrem Bruder, egal, was Sie
mir erzählen, vorausgesetzt, Sie erlauben mir, eine Vermißtenmeldung bei der
Polizei aufzugeben.»
Sie schloß beide Augen. Aus dem
Tropf rann Flüssigkeit in ihre linke Hand. Die weißen Bettlaken hatten mehr
Farbe als ihre Wangen. Ich fand mich niederträchtig, weil ich so mit einer
zusammengeschlagenen alten Dame feilschte. Ich mußte mich selbst daran
erinnern, wie stahlhart sie war, ehe ich weitersprechen konnte.
«Handel oder nicht?» fragte
ich.
«Handel», sagte sie und
lockerte den Griff um das schwarze Kästchen.
«Haben Sie den Mann erkannt,
der Sie zusammengeschlagen hat?»
«Mann», sagte
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