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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
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der ganze Ärger in den
Sechzigern wieder anfing, war alles organisiert. Das Geld war für
Nahrungsmittel und Kleidung, damit sollte den Familien der Männer geholfen
werden, die in britischen Gefängnissen dahinvegetierten, den Kindern, daß sie
auf katholische Schulen gehen konnten —»
    Sie brach ab, Worte und Atem gingen
ihr aus, aber sie wollte mir noch etwas sagen. «Sicher», sagte ich.
Wahrscheinlich bin ich wirklich zu jung. Ich habe einige Hochachtung vor den
Iren; schließlich bin ich halbirisch. Irische Musik und Literatur sind
phantastisch. Aber dann gibt es diese Scheidungsgesetze. Und die IRA...
    Margaret war offenbar zufrieden
mit meinem kurzen Kommentar. Sie fing erneut zu sprechen an, nur langsamer.
«Das amerikanische Geld lief allmählich aus. Die Geldauftreiber waren um ‘75
herum der Verzweiflung nahe. Wegen der Horrorstorys in den Zeitungen gingen
kaum noch Spenden ein. Kinder wurden verstümmelt. Ehemänner vor den Augen ihrer
Frauen erschossen. Es war zuviel, einfach zuviel, und kein Ende abzusehen. Und
mit dem bißchen Geld, das noch durchsickerte, war am St.-Patricks-Tag Schluß,
weil die Vier Reiter sagten: Stopp.»
    «Vier Reiter?»
    «Teddy Kennedy, Moynihan, Tip O’Neill
und Gouverneur Carey. Sie wetterten gegen die IRA, und wir hörten zu. Die
Gruppen wurden aufgelöst. Die GBA stellte ihre Versammlungen ein. Die Kirchen
predigten gegen die Gewalt. Das war das Ende.» Sie schloß die Augen, ihre
Blässe gab mir zu verstehen, daß ich bald aufhören mußte.
    «War es auch für Ihren Bruder
das Ende?»
    «Ich weiß nicht.» Ihre Stimme
war flach und tonlos. «Damals hatte ich den Eindruck. Er konnte nicht viel Geld
abgeben, und wenn er die Provos unterstützt hätte, hätte er mir nichts davon
gesagt. Terroristen, so nenne ich sie jetzt, obwohl meine eigenen Landsleute
dabei sind.»
    «Haben Sie Familie in Irland?»
    «Nicht mehr. Nicht daß ich
wüßte.»
    «Wenn jemand behauptete, Ihr
Bruder sei nach Irland gegangen, würden Sie ihm glauben?»
    «Eugene nicht. Er mag ab und zu
davon gesprochen haben. Aber er war wie die anderen alten Männer bei Green
& White, alles nur Gerede.»
    «Er war nicht der Meinung, das
Leben sei dort besser?»
    Sie wollte lächeln, trotz des
geschwollenen Mundes und allem anderen. «Woran er unter anderem glaubte, war
jedenfalls, daß die Iren ein schreckliches Volk seien, wenn man sie in Irland
ließe. Er pflegte immer zu witzeln, daß die Iren gar nicht so schlecht wären,
sobald man sie von ihrem Acker wegholte. Seine stehende Rede war, das Dumme an
Irland sei, daß sie dort zu viele Iren hätten.»
    Das Klopfen an der Tür
erschreckte mich so, daß ich aufsprang. Eine ernst dreinblickende junge Frau
trat ein, die erklärte, Miss Devens müsse sie jetzt hinunter zur Röntgenstation
begleiten. Ein Namensschild stak an ihrer weißen Strickjacke. Noch ehe sie in
ihrem Redestrom fortfahren konnte, sagte ich: «Schwester Hanover, diese
Patientin ist Zeugin in einer Kriminalsache, und sie hat mir erzählt, sie sei
von unerwünschten Besuchern gestört worden.»
    «Die Besuchszeit beginnt erst
um sieben —»
    «Ich weiß, wann Besuchszeit
ist. Ich schlage vor, Sie rufen bei der Polizei an, verlangen Lieutenant Mooney
und bitten ihn, eine Wache vor Miss Devens’ Tür zu stellen.»
    «Wenn Sie meinen —»
    «Am besten tun Sie’s gleich.
Und bitten Sie die Stationsschwester darum, scharf aufzupassen, wer in dieses
Zimmer hineingeht, bis die Polizei kommt. Weißgekleidete Leute sehen sich im
allgemeinen ähnlich.» Ich schlug meinen Ärmel hoch, sah auf die Armbanduhr,
notierte mir etwas auf meinem Krankenblatt und nickte Margaret ein schnelles
Lebewohl zu.
    Ich bin mir wegen des Zustandes
ihrer Augen nicht ganz sicher, aber ich glaube, sie zwinkerte mir zu.
     
     
     

14
     
    «Ich brauche noch etwas mehr
Zeit», sagte ich.
    «Damit wir uns nicht
mißverstehen —» Die Stimme in der Leitung hatte den gleichen schroffen
Befehlston wie letztesmal und gehörte «unserem Herrn Andrews». Ich hatte
diesmal entschieden weniger Mühe gehabt, zu ihm durchzudringen. Entweder konnte
sein Name Berge versetzen, oder ich bekam endlich den gerechten Lohn für mein
Training in feinen Manieren. Ich schlang ein Stück Thunfisch-Sandwich herunter,
während er seine Feststellungen traf. «Sie haben also Ihren Mann nicht
erreichen können.»
    «Richtig», erwiderte ich
wahrheitsgemäß. «Ich habe mehrmals Nachricht hinterlassen», fügte ich weniger
wahrheitsgemäß

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