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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
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von Orgelmusik übertönt.
    Ich zählte bis zehn und klopfte
lauter. Das Treppenhaus war genauso schön und gepflegt wie das Äußere des
Hauses. Der Mieter vom Parterre oder zweiten Stock mußte etwas Furchtbares
gegessen haben letzten Abend. Vielleicht einen verdorbenen Hamburger. Ich hielt
den Atem an und schlug so fest mit der Faust an die Tür, daß sie in den Angeln
wackelte.
    Ich hörte ein Schlurfen auf der
anderen Seite, durchsetzt mit einem synkopischen Klopfgeräusch, und dann befahl
mir eine energische vertraute alte Stimme, gefälligst fortzugehen, und hört doch
auf, einen alten Mann zu belästigen, ihr solltet euch schämen, alle habt ihr
Jungs nichts Besseres zu tun, als einen alten Mann zu ärgern, der sein Leben
lang Tag für Tag gearbeitet hat und jetzt hier gelandet ist, und macht euch
nicht die Mühe, hier einzubrechen, denn ich habe nichts, das sich zu stehlen
lohnt, und außerdem würde euch der Schäferhund im selben Augenblick, wo er euch
sieht, in Stücke reißen.
    Alles in einem Atemzug.
    «Pat», sagte ich, nachdem ich
schon zehnmal versucht hatte, seinen Redestrom vorzeitig zu unterbrechen, «ich
bin eine Freundin. Von Green & White. Eine alte Freundin.»
    «Die Polizei werde ich anrufen,
jawohl», ging das Lamentieren auf der anderen Türseite weiter. «Und glaubt bloß
nicht, ich tät’s nicht. Ihr könnt mir keine Angst einjagen. Nichtsnutze seid
ihr, Nichtsnutze alle miteinander.»
    «Eine Freundin», schrie ich.
«Eine Freundin mit etwas zu trinken.» Wenn ich noch lauter brüllte, würde
wirklich jemand die Polizei rufen.
    Stille hinter der Tür, dann
eine argwöhnische Frage. «Sie verkaufen nichts?»
    «Nein.»
    «Wie heißen Sie denn?»
    «Carlotta. Ich habe mit Ihnen
zusammen bei Green & White gearbeitet.»
    «Carlotta», wiederholte er.
«Ein Mädchen.» Lange Pause, dann erneutes Schlurfen. «Und welche Farbe hat Ihr
Haar?»
    «Es ist rot, Pat, und nicht
etwa gefärbt.»
    Das erste einer eindrucksvollen
Reihe von Schlössern klickte. Knarrend öffnete sich die Tür bis zum Anschlag
einer soliden Kette von drei Zoll. Ein blutunterlaufenes Auge spähte heraus.
Die Tür schlug wieder zu, um dann weit aufzuschwingen.
    «Und warum hast du sieben Jahre
gebraucht, um mir deine Aufwartung zu machen?» sagte Pat. «Komm rein, Mädchen,
immer herein. Ich muß die Tür gegen die Vandalen verrammeln.»
    Er war von der Krankheit
gezeichnet, die fast all seine Muskeln und seinen Speck aufgezehrt und nur noch
einen hageren Schatten zurückgelassen hatte. Sein Gesicht war so schlaff, als
hätte jemand ein Ventil abgeschraubt und die Luft abgelassen. Seine Füße staken
in riesigen Schlappen, der Ursache für das hörbare Schlurfen. Er stützte sich
schwer auf einen Spazierstock. Daher das Klopfgeräusch. Er war in einen
Chenille-Bademantel gehüllt, der ihm viel zu groß war. Die Enden des
Bindegürtels baumelten ihm fast bis an die Knie. Unter dem Bademantel trug er
Hosen. Die Hosenaufschläge schlugen um seine wächsernen Knöchel. Er war in den
sieben Jahren um zwei Jahrzehnte gealtert. Ich hatte schon Leichname gesehen,
die besser aussahen.
    «Du brauchst mir keine
Komplimente zu machen», sagte er schnell, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte.
«Ich weiß, daß ich blendend aussehe. Gib mir einfach einen Kuß, zieh dich aus,
und ich kann glücklich sterben.»
    «Du hast dich wirklich kein
bißchen verändert», sagte ich.
    «Komm rein, komm rein. Du bist
schöner, als ich in Erinnerung hatte. Sag danke für das Kompliment. Erröten
wäre auch nett, wenn du’s hinkriegen könntest. Bist du inzwischen verheiratet
oder immer noch eine alte Jungfer?»
    Blödsinn. Wer war eigentlich
mit Fragen dran, er oder ich? Ich atmete ziemlich tief ein und war erstaunt,
daß die Luft so frisch roch. Die Wohnung war sauber. Pats Bude war alles in
allem schäbig, spartanisch, die letzte Ruhestätte eines pedantischen, koketten
alten Junggesellen. Womöglich noch unberührt. Eine ausgebleichte Couch mit
bedrucktem Bezug stand an einer Wand. Verschossene schmutzigweiße Vorhänge
rahmten die Fenster ein. Ein gerahmtes Christusbild hing an der Wand über dem
Sofa, daneben ein Kruzifix. Ein fadenscheiniger Lehnstuhl mit einem dicken,
eingekerbten Kissen stand einem riesigen Farbfernseher gegenüber. Die Anordnung
der Möbel war offensichtlich nicht für gesellige Stunden gedacht. Sie war ganz
im Sinne eines Mannes, der allein vor dem Fernseher saß.
    Pat verrückte die Einrichtung
rasch, zu Recht

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