Carlotta steigt ein
beschämt, dabei ertappt worden zu sein, wie er irgendeinem
überkandidelten Evangelisten zuschaute.
«Wo ist der Schäferhund»,
fragte ich, «der mich in Stücke reißen sollte?»
«Tot», sagte er, «schon seit
Jahren. Ich lasse ihn wiederauferstehen, wenn die Jugendlichen aus der
Nachbarschaft ankommen. Bist du nun verheiratet oder nicht?»
«Wie ist denn dein Liebesleben?»
fragte ich.
«Hast keinen Ring am Finger»,
sagte er.
«Du auch nicht .»
«Hast du nicht was von Trinken
gesagt? Sonst hätte ich dich nämlich gar nicht reingelassen.»
Ich betrachtete die teigige
Farbe seiner Haut und fragte mich, ob ein Schluck ihn wohl auslöschen könnte.
Auf seinen Wangen prangten pfenniggroße rote Kreise. Aufregung, vielleicht auch
ein Fieberanfall.
«Sei so gut und hol zwei Gläser
aus dem Abtropfsieb in der Küchenspüle. Du kannst das schneller als ich .» Er ließ sich schwer in den Fernsehsessel fallen.
Die Küche war genauso kahl und
sauber wie das Wohnzimmer. Ein Teller, eine Gabel, ein Messer, ein Löffel auf
der Ablage. Zwei Kaffeetassen, zwei Gläser. Ich fragte mich, ob er kürzlich
einen anderen Gast unterhalten hatte. Ich schleppte einen Küchenstuhl ins
Wohnzimmer und stellte ihn neben den Fernsehsessel. Entweder das, oder auf dem
Fußboden sitzen. Mir fielen Spuren auf der billigen Auslegeware auf, Eindrücke,
wo einst Tische, Stühle und Lampen gestanden hatten, und ich fragte mich, ob
Pat vielleicht Möbel abgegeben hatte, um sich vor seinem Tod schon von allen
Besitztümern freizumachen.
«Auf die gute alte Zeit!»
prostete er mir zu, sobald ich den Four Roses eingegossen hatte, seine Lieblingssorte,
eine Marke, die ich mit einem widerlichen Geschmack und einem noch schlimmeren
Kater in Verbindung bringe. Er tätschelte die Flasche und sagte, um mich zu
necken: «Ein halber Liter ist schön, aber ein ganzer wäre noch besser gewesen.»
«Oder ein Eimer voll.»
«Ein Ozean», sagte er. Er goß
sein Glas hinunter. Sein Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse, und er
rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. «Was willst du von mir?»
fragte er wachsam. «Niemand kommt mehr hierher, wenn er nicht etwas will.»
Ein plötzlicher
Stimmungsumschwung. Schmerzen können das bewirken.
«Margaret Devens schickt mich.»
«Margaret.»
«Ihr Bruder wird vermißt.»
«Eugene ist nicht nach Hause
gekommen?»
«Nein.»
«Wie lange denn schon, ohne daß
mir jemand einen Ton davon sagt?»
«Zwei Wochen.»
Pat wollte einen weiteren
Schluck eingießen. Seine Hand zitterte, und er setzte die Flasche wieder ab.
«Also ich weiß nicht, wo er steckt. Wenn ich’s wüßte, würde ich’s Margaret
erzählen. Ich finde die Frau bewundernswert, schon immer.»
«Sie macht sich Sorgen um ihn»,
sagte ich.
«Mit Recht», pflichtete er mir
bei.
Ich ließ seine Worte einen
Augenblick im Raum stehen. Dann sagte ich: «Warum?»
«So ist das nun mal da
draußen», sagte er mit einer vagen Handbewegung. «Schütt mir noch einen ein,
ja? Und frag mich bloß nicht, ob es mir bekommt, tu mir den Gefallen, ja? Ich
habe dieses Zeug schon getrunken, als du noch gar nicht ausgeschlüpft warst.»
«Was ist los bei G&W, Pat?»
«Ich bin da raus», sagte er.
«Weil du krank warst .»
«Krank und müde», sagte er,
«krank und müde.»
Ich hatte gehofft, er würde
meine Anstecknadel bemerken, aber vergebens. «Margaret sagt, du wärst ein hohes
Tier in der GBA gewesen», riskierte ich zu sagen.
«Die alte GBA», sagte er. «Das
waren noch Zeiten!» Er kippte den Whiskey, den ich ihm eingegossen hatte, mit
einem geübten Schluck hinunter, sog Luft ein und zuckte im Sessel zusammen. Das
Trinken tat ihm weh, aber er trank trotzdem. «Wenn Eugene irgend etwas passiert
ist...»
«Warum sollte ihm etwas
passieren?»
«Ich weiß es nicht.»
«Was macht die GBA denn
heutzutage?»
«Wir treffen uns wieder,
ungefähr seit einem Jahr, ganz harmlos. Ein Haufen alter Männer, die nichts
Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Wir wollten der guten Sache dienen.
Von allen Seiten hacken sie auf die Provos ein, weißt du, und da dachten wir,
na ja, wir sollten ihnen vielleicht mal wieder aushelfen, und es fing ganz
klein an. Wir waren ja alle Taxifahrer, wir sammelten nur die Spenden ein,
holten die Sammelbüchsen aus den Kneipen, weißt du. Taxifahrer haben eine Menge
loser Scheinehen und Kleingeld, vom Trinkgeld, und ab und zu gehen wir mit den
Kleingeldrollen zur Bank, und die Kassierer wissen, was wir machen,
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