Caroline
war eine Nummer in Den Haag, die wir alsbald als die der Agentur von Hein Drisman identifizierten. Ich schaute auf die Uhr. Es war weit nach Büroschluss.
Keine Hektik, dachte ich.
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon erneut und wieder passierte dasselbe, weil wir in der Küche beim Essen saßen. Wieder keine Nachricht. Der Anruf kam aus einer Telefonzelle in Amsterdam.
Ich schaute Nel an, die mir nachgekommen war. »Scheint so, als wollte jemand überprüfen, ob wir zu Hause sind«, sagte ich.
»Ich hätte schon längst eine Alarmanlage installieren sollen«, meinte sie. »Oder tausend Volt auf die Türklinken legen.«
Die literarische Agentur war natürlich geschlossen, aber der Anrufbeantworter gab neben den Bürozeiten auch eine Handynummer für dringende Fälle an. Die wählte ich. »Drisman.«
»Max Winter. Sie haben vorhin versucht, mich zu erreichen?«
»Wer ist da? Ach, Sie sind’s. Nein, ich habe Sie nicht angerufen.«
»Vielleicht war es ein Stöhner, aber jedenfalls kam der Anruf aus Ihrem Büro, dann muss wohl dort jemand meine Nummer gewählt haben. Da ich mich gerade auf den Weg nach Deventer machen wollte, dachte ich, ich rufe Sie vorher lieber erst zurück, um nachzuhören, worum es ging. Haben Sie schon mit Ihrer Klientin gesprochen? Oder war das unter diesen Umständen zu problematisch?«
Wie gesagt, Drisman hatte ein dickes Fell. »Für wen arbeiten Sie?«, fragte er.
»Namen von Auftraggebern werden grundsätzlich vertraulich behandelt und außerdem habe ich jetzt keine Zeit.« Ich legte auf, bevor sich Drisman neue Drohungen ausdenken konnte.
Um elf Uhr läutete wieder das Telefon, als wir uns vor dem gemütlich bullernden Franklin-Kamin einen Drink genehmigten. Der Anrufbeantworter sprang an, doch noch vor dem Piepton wurde aufgelegt.
Nel stellte fest, dass der Anruf aus der Gastwirtschaft De Roos in Utrecht kam. Sie wurde allmählich nervös. Wir beschlossen, zur Sicherheit in den Heuschober umzuziehen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, in einem Gästebett im Heuschober zu liegen, umso mehr, weil wir uns im Schlafzimmer meiner verstorbenen Nachbarin Jenny befanden. Ich habe in tausenden von fremden Betten geschlafen. Sie alle haben ihre eigene Geschichte, ein Mosaik aus Langeweile, Sorgen, Sex, Freude, Krankheit und Tod. Ich lag an Nels Rücken geschmiegt, eine Hand schützend auf ihren Bauch gelegt, und überlegte, dass werdende Väter womöglich ihr Bedürfnis, andere Leute mit versteckten Drohungen aus der Fassung zu bringen, unterdrücken sollten.
Die Terrassentür zum Holzbalkon, der um den Heuschober herumführte, stand einen Spalt offen und ich fror. Nel war warm. Meine Beretta lag griffbereit in meinem Schuh auf dem Fußboden neben dem Bett und Nel hatte ihre lächerliche Jennings ‚22 in ihr Nachthemd gewickelt, bevor wir hinüberschlichen.
Ich hörte den Wind in den hohen Pappeln rauschen und hin und wieder ein Auto auf der Landstraße vorbeizischen, die ein paar hundert Meter entfernt hinter Bäumen und Weiden parallel zu unserem Deich entlangführte. Ich kam mir ein bisschen lächerlich vor, weil nichts passierte. Nach einer Weile schlief ich ein.
Nel rüttelte mich wach und hielt mir mit der Hand den Mund zu.
»Ich höre etwas«, flüsterte sie.
Ich schlug die Decke zurück, stand im Dunkeln aus dem fremden Bett auf und suchte tastend den Weg zur Balkontür. Ich löste den Türhaken, drückte die Tür weiter auf, blieb in der Kälte stehen und lauschte. Ich hörte nichts Ungewöhnliches. Der Balkon befand sich auf der Rückseite des Heuschobers und außerdem lag unser Haus hinter einer dichten Hecke. Der Wind fuhr seufzend durch die kahl werdenden Pappeln und das Schilf.
»Bist du sicher?«, fragte ich leise.
»Klang wie eine Autotür. Nein, dumpfer, wie ein Schlag auf eine aufgepustete Papiertüte.«
Sie hielt eine Taschenlampe abgeschirmt auf den Boden gerichtet, sodass ich meine Hose und meinen Pullover finden und meine Beretta aus dem Schuh fischen konnte, bevor ich ihn anzog.
»Du bleibst hier«, sagte ich.
»Ich gebe dir Rückendeckung.«
»Cornelia!« Ich steckte mir die Beretta in den Gürtel und drückte Nel mit beiden Händen zurück auf das Bett. »Du bist im vierten Monat schwanger und bleibst hier. Okay?«
»Schweizer Frauen stehen bis zwei Wochen vor der Geburt noch auf Skiern«, wandte sie ein.
»Aber nicht meine Frau.«
Ich konnte ihre Augen nicht sehen, aber ich wusste, was für ein Gesicht sie machte. Ich übernahm die
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