Caroline
abgesagt.«
»Die Grippe geht um.«
Ich setzte mich ihr gegenüber. Sie schlüpfte in einen pelzgefütterten elektrischen Fußwärmer und reichte dann nach ihrem Cognacglas, in dem noch ein Rest übrig war, und trank es aus. Sie sah der Dame auf dem Plakat mit dem ingwerfarbenen Parfümfläschchen am Meer kaum noch ähnlich. Ohne Make-up glich ihr Gesicht einer Leinwand, von der man die Farbe abgeschrubbt hatte. Ihre Haut war teigig und verräterische Fältchen zeigten sich um ihre Augen und am Hals. Sie schenkte sich Cognac nach und hielt die Flasche über ein zweites Glas, das sie offenbar für mich bereitgestellt hatte. Ihre Augen waren wässrig.
»Ja, danke«, sagte ich. »Ist Remco auch krank oder hat er seinen freien Tag?«
»Manchmal bin ich lieber allein.« Sie war zu müde, als dass man sie hätte verletzen können. Vielleicht ließ ich sie besser in Ruhe.
Zwei Uhr nachmittags war noch ein bisschen früh, doch ich trank von meinem Cognac und schaute sie an. Ihr steckte etwas anderes in den Knochen als die neueste Variante der asiatischen Grippe.
»Manchmal sehne ich mich so nach einem normalen Leben«, sagte sie.
»Das kann doch noch kommen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zu spät«, murmelte sie. »Ich habe mich nie um sie gekümmert. Eine normale Familie. Sonntagnachmittags ein Spaziergang in der Lage Vuursche. Eine Partie Minigolf und danach Erbsensuppe.« Sie seufzte voller Selbstmitleid. »Ich bin hier noch nicht einmal richtig zu Hause. Ich wohne in Flugzeugen und in Hotels. Es ist zu spät.«
Mir fielen nur Gemeinplätze ein, etwa, dass es nie zu spät sei. »Für Caroline ist es zu spät«, sagte ich. »Du kannst noch einmal heiraten, Kinder bekommen, sonntags spazieren gehen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich habe immer gewusst, dass es der Pfarrer war«, sagte sie fast im Flüsterton. »Der arme Kerl. Er war lieb zu meiner Schwester gewesen und ich habe ihn hängen lassen.«
Möglicherweise würde sie nie darüber hinwegkommen und sich einer Therapie unterziehen müssen, um herauszufinden, womit alles angefangen hatte und ab wann die fatale Entwicklung nicht mehr aufzuhalten gewesen war. Doch eigentlich war das nicht mein Problem. Ich war wegen Caroline hier, nicht ihretwegen.
Sie erriet meine Gedanken. Sie hob den Blick und fragte: »Weißt du etwas Neues über Caroline?«
»Ja.«
»Remco sagt, du hättest noch keine Rechnung geschickt.«
»Die kommt schon noch. Du hast es uns nicht leicht gemacht.«
»Wie meinst du das?«, fragte sie.
Indem sie nicht die Mutter gewesen war, der Caroline ihre Geheimnisse und Erwartungen anvertrauen konnte? Oder zumindest eine Mutter, die wusste, dass ihre Tochter Schriftstellerin werden wollte, und die ihr helfen konnte, einen Herausgeber zu finden, sodass Caroline nicht in die Fänge dieser verdammten Larue geraten wäre?
Es spielte keine Rolle mehr. »Deine Tochter hat ein wunderbares Buch geschrieben.«
Sie schaute mich verdutzt an. »Karel?«
Ich legte Ein kleines Geschenk vor sie auf den Tisch. Sie stellte ihr Glas weg und nahm das Buch in die Hand. »Hedwige Larue?«
»Die Widmung fehlt hier, aber sie steht im Original. Für meine Mutter.«
Valerie starrte das Buch an und schüttelte den Kopf.
»Anfang Juli war Caroline mit ihrem Buch fertig. Sie fuhr zu ihrem Vater, wollte es ihm zu lesen geben oder ihn fragen, ob er es für gut genug hielte, um sich damit an einen Verlag zu wenden. Schließlich ist mein Vater Lehrer, dachte sie wohl. Nur dass er nicht ihr Vater war. Es war ein Schock für sie. Sie fuhr zu ihren Großeltern nach Drenthe, doch die waren ebenfalls ahnungslos. Sie wandte sich an dich, doch ihr habt euch nur gestritten, ohne dass sie einen Deut mehr erfuhr.«
»Es tut mir Leid«, murmelte Valerie kaum hörbar.
Ich wusste, dass sie es ehrlich meinte, aber hinterher tut es einem immer Leid. »Caroline beschloss, es auf eigene Faust zu wagen. Sie suchte sich einen kleinen Verlag, wo man sie nicht von vornherein auslachen würde. Sie fand den Mirabel Verlag in Baarn. Dort kam sie eines Mittwochnachmittags herein, mit ihrem Manuskript. Die Einzige, die sie dort antraf, war Hetty Larue, eine Dame, die Bücher anderer Autoren lektorierte und meistens mehr Schaden anrichtete als sonst etwas, weil sie kein Talent hat. Allerdings strebte diese Dame schon seit Jahren danach, eine berühmte Schriftstellerin zu werden, mit oder ohne Talent. Sie merkte, dass Caroline einsam und menschenscheu war, und auch, dass
Weitere Kostenlose Bücher