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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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geräuschvoll aus. Erneut hatte Mistletoe den Eindruck, dass er sich schwertat, ein Gespräch mit jemandem zu führen, den er für jünger hielt, obwohl sie doch gleich alt waren. Sie zerquetschte ihm beinahe die Hand, um sich davon abzuhalten, ihn zu erwürgen.
    »Ich habe –« Er unterbrach sich. »Ich
hatte
eine ungeheure Verantwortung. Du könntest dein ganzes Leben mit dem Versuch zubringen, dich durch UniCorps gesamte Infrastruktur zu wühlen, und würdest es doch nie bis ans andere Ende schaffen. Aber was wäre, wenn du all die Zeit, die du vorher mit Schlafen vergeudet hast, mit einem Mal wirklich produktiv nutzen könntest? Die Wahl war einfach.«
    »Dann war’s also was, das dir gefallen hat«, sagte sie.
    »Was?«
    »Die Sachen, die du da eben so gemacht hast. Dieser Process-Flow-Kram und all das. Dein Job.«
    Sie spürte, wie er neben ihr in der Dunkelheit die Schultern zuckte. »Es hat mich zu dem gemacht, der ich bin.«
    »Der du
warst
«, erinnerte sie ihn.
    »Mag sein«, sagte er ruhig. »Aber du hast recht, ich weiß es nicht.« Er löste seine Hand aus ihrem Griff. Sie fühlte einen Stich der Enttäuschung, als sie sich nicht mehr berührten, dann ärgerte sie sich im Stillen darüber, dass es ihr etwas ausmachte.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Schätze, es ist unmöglich, sich über irgendwas vollkommen, hundertprozentig sicher zu sein.«
    »Für mich eben nicht«, sagte er. »Das ist ja der Punkt.«
    Sie spürte, wie Ambrose neben ihr in der Dunkelheit erstarrte, sein Körper sich versteifte. Seine Hand fand die ihre und drückte sie. Mistletoe war froh, sie wiederzuhaben.
    »Was ist?«
    Einen Augenblick lang verharrte er wie eine gespannte Sprungfeder, dann lockerte er seinen Griff.
    »Dachte, ich hätt was gehört«, sagte er.
    »Da war nichts –«
    Ein grüner Blitz zuckte blendend über den Boden und für den Bruchteil einer Sekunde konnte Mistletoe sehen, dass sie nicht allein waren. Dann herrschte erneut Dunkelheit. Zwei grellgrüne Kugeln jagten in hohem Bogen auf sie zu, zogen eine weiße Spur statischer Elektrizität durch die Schwärze.
    »Lauf!«, schrie sie. Ungestüm packte sie Ambroses schmerzende Hand. Bevor sie sich ducken konnte, verhüllte eine der Kugeln ihr das Gesicht. Wie gelähmt blieb sie stehen, sah nichts außer Grün. Ein tiefer, grollender Ton dröhnte in ihren Ohren und verebbte zu einem höherfrequenten Summen. Ihre Zähne klapperten heftig. Sie fühlte, wie sich hinter ihren Rippen ein winziger Spalt auftat, als würde ein Finger in Wasser getaucht, durchbräche die Oberfläche und würde wieder herausgezogen. Dann ein Knall in ihren Ohren und die grüne Kugel verschwand. Sie sackte in sich zusammen, und ihr letzter bewusster Gedanke war die Hoffnung, dass Ambrose es geschafft hatte zu fliehen.
    Irgendwann erwachte Mistletoe auf einem muffigen Stapel aus Kissen und Decken. Ihr schwirrte der Kopf, sie hatte großen Durst. Behutsam richtete sie sich auf, blinzelte einen beginnenden Kopfschmerz weg und sah sich um. Der Raum war düster und fensterlos, überall herrschte ein heilloses Durcheinander aus Kabeln und Antennen. Von Nelson und Ambrose keine Spur. Instinktiv tastete sie sich ab.
    Körper unversehrt. Kleider da, wo sie hingehörten. Halskette ebenso.
    Ächzend wie eine alte Frau stemmte sie sich auf die Beine, stützte sich dabei gegen die aufgerollten Innereien irgendeiner klotzigen Prä-Unison-Maschine. Der Raum hatte nur einen Ausgang, eine Metalltür mit einem kleinen Spion wenige Zentimeter über ihrem Kopf. Sie stellte sich davor und sprang hoch, aber die Linse war fürs Hereinschauen gedacht, sodass sie nichts erkennen konnte. Probehalber zog sie am Griff.
    Die Tür schwang auf.
    Ma buh …
    Sie blinzelte zweimal, massierte sich das Gesicht und rieb sich die Augen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte.
    Sie stand am Rand eines unterirdischen Zoos. Hoch über ihrem Kopf stoben orange-blaue Vögel aus seltsamen Gebilden oder flatterten in sie hinein. Raben hockten unheilvoll auf Trapezschaukeln, die von der kuppelförmigen Decke herabhingen. Bienenstöcke und Nester jeder nur erdenklichen Form und Größe baumelten von dicken Ästen, darunter schwangen Schimpansen und andere Affen träge vor und zurück. Nur wenige Schritte von Mistletoe entfernt wich der graue Zementboden einer grasbewachsenen Fläche, auf der riesige, mit dichtem, zottigem Fell bedeckte Tiere weideten. Weiter hinten, auf der Kuppe eines gigantischen grauen Felsens,

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