Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino

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verkeilten zwei Steinböcke ihr Gehörn. Im Zentrum des Raums lag ein Teich, auf dem Enten und Gänse ruhten.
    Es herrschte vollkommene Stille.
    Urplötzlich begann der ganze Raum zu vibrieren, kurz darauf zu beben. Verschreckte Vögel flatterten in dichten Schwärmen von ihren Stangen, als Putz von der Decke bröckelte. Mistletoe verlor das Gleichgewicht und taumelte auf die Wiese. Es war das gleiche tiefe Grollen, das sie im dreißigsten Stock gehört hatte, nur dass sie der Quelle jetzt offenbar deutlich näher war. Handelte es sich bei der Geißel vielleicht bloß um die wilde Flucht einer Horde Tiere? Sie duckte sich in das weiche Gras und hielt sich die Ohren zu, während sie sich zu erinnern versuchte, ob sie irgendwo Elefanten gesehen hatte.
    Von einer Sekunde zur andern kehrte die Stille zurück. Mistletoe öffnete die Augen. Der größte Mann, den sie je gesehen hatte, ragte vor ihr auf. Er hatte struppiges weißes Haar, blasse, runzlige Haut und einen knochigen Hals, der ein wenig zu lang geraten schien. Er trug ein düsteres graues Gewand, das lose seinen ganzen Körper bedeckte und nur an seinen Fußknöcheln befestigt war.
    Er lächelte freundlich und streckte ihr eine Hand entgegen. Sie ignorierte die mageren Finger, sprang ruckartig auf und wich ein paar Schritte vor ihm zurück.
    »Wir sind froh, dass du wieder auf den Beinen bist, Kind«, sagte er. In seinen Augen blitzte eine durchdringende Schärfe, die nicht recht zu seiner sanften Stimme passen wollte. »Und wir entschuldigen uns für die nicht allzu herzliche Begrüßung, doch leider hatten wir keine andere Wahl.«
    »Was haben Sie mit uns gemacht? Wo ist Ambrose?«
    Er trat einen Schritt auf sie zu und streckte erneut die Hand aus. »Komm, du kannst es dir selbst ansehen.«
    Abermals wich sie zurück. Er nickte verständnisvoll und verschränkte die Arme vor der Brust. Hinter ihm trottete eines der braunen Pelzviecher vorüber und warf ihr aus großen blauen Augen wie beiläufig einen Blick zu, dann senkte es den Kopf und mampfte ein Büschel Gras.
    »Die Unannehmlichkeit, die du vorhin zu erdulden hattest, war notwendig, um eventuell implantierte Peilsender zu entfernen.«
    Sofort fiel Mistletoe das seltsame Ziehen hinter ihren Rippen wieder ein, und sie rieb sich den Brustkorb. »Wir waren verwanzt?«
    »
Er
war selbstverständlich verwanzt. Du nicht, aber wir mussten sichergehen.«
    Sie nickte bedächtig. Das erklärte, wie die Cops Ambrose hatten aufspüren können, sobald er die subsphärischen Straßen betreten hatte. Vielleicht, überlegte sie, war das ja der Grund dafür, dass seine Flucht aus dem UniCorp-Gebäude so einfach gewesen war: Martin Truax hatte gewollt, dass er davonlief, damit seine Männer ihm folgen konnten. Ambrose war der Köder, aber für wen? Jiri und Tante Dita?
    Sie setzte eine unergründliche Miene auf und stemmte eine geballte Faust in die Hüfte. »Wer sind Sie? Was ist das hier für ein Ort? Wo ist Nelson?«
    Die Haut über seinen weißen Augenbrauen legte sich in tiefe Falten. »Nelson?«
    »Mein Scooter.«
    »Ahh, natürlich. Hör mal, ich weiß, dass ich dir keinen Grund gegeben habe, mir zu vertrauen, aber wenn du mich einfach kurz begleitest, werde ich dir alles zeigen, versprochen.«
    Mistletoe biss sich auf die Lippe. Wenn er sie wirklich töten wollte, hätte er es vermutlich längst getan, und wenn er ihr irgendwie anders ans Leder wollte, hätte er die Gelegenheit nutzen können, als sie schlief. Sie nickte. »Okay. Aber nehmen Sie nicht meine Hand. Niemals.«
    Er lachte. »Nicht einmal, um uns miteinander bekannt zu machen? Mein Name ist Magnus. Dieser Ort hier ist mein Zuhause. Und dein Fahrzeug ist unversehrt.«
    »Nein, nicht mal das. Ich heiße Mistletoe. Ihr Zuhause ist verbloggt noch eins mächtig
schräg
, und
wehe
, mit Nelson stimmt irgendwas nicht.«
    Magnus zuckte die Schultern und ging ihr voraus über die sanft abfallende Wiese. Sie kamen so nah an den massigen braunen Viechern vorbei, dass Mistletoe sich schon darauf gefasst machte, von bestialischem Gestank angeweht zu werden, doch die Tiere rochen nach gar nichts. Dafür verströmte der ganze Raum ein fernes, muffiges Aroma, so ähnlich wie der Stapel Decken, auf dem sie geschlafen hatte. Hier roch es definitiv nicht wie an einem Ort, an dem sich dutzendweise Wildtiere tummelten.
    In der Nähe des Teichs stiegen sie hinab in einen grasbewachsenen Graben, der nach wenigen Metern in einen Zementtunnel mündete. Sie warf einen Blick