Carpe Somnium (German Edition)
UniCorp. Wir entwarfen das Programmiergerüst für das Upgrade auf Unison 2.0, und dann, kurz nachdem es online gegangen war, betraute Martin Truax uns mit einem streng geheimen neuen Projekt. Wir wurden … überaus gut bezahlt für unsere Arbeit.«
Aus der Art, wie er sprach, glaubte Mistletoe die kaum verhohlene Sehnsucht nach seinem alten Oberstadt-Leben herauszuhören. Auf der anderen Seite des Drahtstamms ertönte ein Sirren, das mit einem dumpfen Laut abrupt abbrach. Ivor fluchte.
»Zunächst bekamen wir nur vage Instruktionen«, fuhr Magnus fort. »Martin Truax weigerte sich, uns gegenüber auch nur die leisesten Andeutungen über den Zweck des Projekts zu machen. Wir erhielten kodierte Mitteilungen und begleitende Daten, die wirr waren und keinen Sinn ergaben – wir wussten nicht, woher oder von wem sie stammten –, und sollten deren Inhalt dechiffrieren, so gut wir konnten. Als wir uns beschwerten und darauf hinwiesen, dass es bei dieser Aufgabe von entscheidender Wichtigkeit für uns sei, den Ursprung der Mitteilungen zu kennen, drohte Martin damit, uns von dem Projekt abzuziehen. Am darauffolgenden Tag änderte er seine Meinung und ließ uns wissen, dass die Übertragungen von irgendwo aus dem Innern von Unison kamen.«
Magnus hatte unterdessen begonnen, in dem Raum umherzuwandern, die Hände hinter dem Rücken verschränkt wie ein Gutsherr beim Spaziergang in seinem Garten. Die Haut um seine Augen runzelte und glättete sich in raschem Wechsel, so sehr konzentrierte er sich auf seine Erinnerungen. Mistletoe folgte ihm wachsam, während sie sich immer weiter von Nelson entfernten.
»Mein Bruder und ich dekodierten einen ausreichend großen Teil der Übertragungen, um festzustellen, dass sie zwar in Unison entdeckt worden sein mochten, ihren Ursprung aber mit Sicherheit woanders hatten. Unison war für die Absender nichts weiter als ein Kommunikationswerkzeug. Als wir Martin über unseren Befund in Kenntnis setzten, war er in der Lage, die dekodierten Mitteilungen zu identifizieren, und zwar als eine Art …« Magnus verstummte und kaute auf seiner Unterlippe herum. »… Bedienhandbuch.«
»Wofür?«
Mistletoe hatte Jiri und Tante Dita, die Cops und den stillen Zoo jetzt völlig vergessen. Sie dachte an den Schöpfungstraum, den sie mit Ambrose teilte. Sie hatte das schrecklich ungute Gefühl, dass sie die Antwort auf ihre Frage bereits kannte.
»Für einen hybriden Organismus.« Magnus hustete nervös. »Ähm …
zwei
hybride Organismen, um genau zu sein.«
»Für mich und Ambrose.« Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr schwirrte der Kopf.
Magnus blieb stehen und betrachtete sie mit einem müden Lächeln. »Ja. So ist es. Der Absender wollte, dass wir diese Hybridwesen konstruieren …
euch
konstruieren.«
Sie brachte kaum mehr als ein Hauchen zustande. »Wer?«
»Ivor und ich glauben, dass der Absender etwas
uns
nah Verwandtes ist – das heißt, in biologischem Sinn uns Menschen nah verwandt –, sich jedoch an einem vollkommen anderen Ort befindet. Stell dir das Universum als eine riesige Villa vor, mit Millionen von Räumen. Die meiste Zeit über sind die Räume am einen Ende der Villa ganz und gar abgeschottet von denen am anderen Ende. Doch ab und zu öffnet sich eine kleine Falltür, und etwas nutzt die Gelegenheit und schlüpft hindurch. Wir glauben, dass es sich bei den Übertragungen um genau so etwas handelte und dass Unison sozusagen als Falltür diente.«
Mistletoes Mund war trocken, fühlte sich klebrig an. Immer wieder sagte sie sich im Stillen:
Ich rede hier mit dem Mann, der mich erschaffen hat.
Das alles schien unwirklich. Es kam ihr so vor, als hätte sie diese Dinge eigentlich erst in vielen, vielen Jahren herausfinden sollen, als hätte die Welt einen ungeheuren Fehler begangen, ihre Geheimnisse schon so früh preiszugeben.
»Also dann, warum bin ich hier?« Ihre Stimme klang plötzlich heiser. »Wozu haben Sie mich erschaffen?«
Das Lächeln auf Magnus’ Lippen verkümmerte zum bisher dünnsten, härtesten Strich. Er berührte Mistletoe sacht an der Schulter. Dieses Mal wich sie nicht zurück. Er öffnete seinen Mund und zögerte, sah zu seinem Bruder hinüber, der neben ihnen aufgetaucht war und sich die Hände an einem blutbefleckten Lumpen abwischte.
»Wir haben nicht den blassesten Schimmer«, sagte Ivor, und über dem monotonen Klang seiner Worte lag Bitterkeit. »Martin war der Ansicht, dass wir zu viel über sein kostbares Geheimprojekt wüssten,
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