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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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den Kopf. »Ich fürchte, er gehört dir nicht.«
    »Ich hab ihn gefunden.«
    »Ich war schon während seiner Ur-Entwurfsphase dabei.«
    »Ivor«, sagte Magnus, »dieses Kind macht im Moment eine Menge durch. Dass du dich jetzt hinstellst und –«
    Ivors erhobene Hand brachte seinen Bruder zum Schweigen. Ein schmallippiges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Mein Bruder sorgt sich um unser Image«, erklärte er. »Was man von uns hält, ist ihm bedauerlicherweise wichtiger als die dringende Aufgabe, die vor uns liegt: nämlich herauszufinden, zu welchem Zweck du und dein deutlich wohlerzogenerer Kamerad eigentlich konstruiert worden seid, ehe Martin Truax uns allen wie räudigen Kötern den Garaus macht.«
    »Ich bin nicht Ihre Schöpfung«, sagte sie. Die Vorstellung, dass diese Greise mit ihren runzligen Händen an ihr als Säugling herumgefuhrwerkt hatten, widerte sie an.
    Ivor zuckte die Schultern. Es schien ihn nicht weiter zu interessieren, was sie glaubte. Und ganz sicher interessierte ihn nicht, ob das hier vielleicht schwierig oder schmerzlich für sie war. Wenigstens hatte Magnus versucht, ihr das alles etwas schonender beizubringen. Oder war er womöglich bloß nett gewesen, damit sie sich leichter in eine Falle locken ließ?
    »Deine andere Hälfte wartet bereits«, sagte Ivor.
    »Was mein Bruder sagen möchte«, vermittelte Magnus, »ist, dass du und Ambrose unbedingt
gemeinsam
in Unison sein müsst, weil sonst unsre kleine« – sein Blick zuckte kurz zu Ivor –, »
euer
Stückchen Selbstfindung wahrscheinlich unerreichbar ist.«
    »So ’n Pech«, sagte Mistletoe.
    Ivor richtete den Taser auf ihr Gesicht.
    Magnus seufzte. »Mein Bruder und ich, wir sind nicht …« Er stieß ein trocknes, nervöses Kichern aus. »Das da« – er zeigte auf die blutigen Lumpen, den Taser – »ist nicht das, was wir sind.«
    »Ja«, sagte Ivor ausdruckslos. »Dieser Raum ist in Wirklichkeit eine Suppenküche.« Er presste die Kiefer aufeinander und kniff die Augen zusammen – es sah aus wie ein dilettantischer Bluff beim Holo-Würfeln –, und Mistletoe begriff schlagartig, wie wenig er sich als Waffenträger eignete. Ihr Straßeninstinkt schrie:
Duck dich!
    Der Taser verlängerte sich jäh um etliche Segmente, die knapp über Mistletoes Kopf hinwegblitzten. Ihre rechte Hand landete in der glitschigen kleinen Pfütze aus blutiger Spucke. Die Segmente zogen sich wieder in den Schlagstock zurück.
    »Ivor!«
    Sie hob den Blick gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Magnus sich zwischen sie und seinen Bruder warf, als der Taser ein zweites Mal aufblitzte. Magnus sackte im selben Moment auf die Knie, Kopf gebeugt, Hände hinter dem Rücken verschränkt, in Erwartung der kühlen Handschellen eines ESC -Bereitschafts-Cops. Ivor ließ den Taser sinken und blinzelte vor Verblüffung.
    »Magnus …«
    Verständnislos starrte er auf den Schlagstock, als suchte er nach dem Knopf, um den Effekt rückgängig zu machen. Mistletoe wusste, dass er bloß würde warten müssen, vielleicht ein paar Stunden, falls der Taser hochwertig war. Mit einem Satz sprang sie auf die Beine und jagte auf Ivor zu, der noch hektisch versuchte, den Schlagstock auf sie zu richten.
    Zu spät.
    Mit ihrem linken Fuß machte sie einen Stemmschritt, dann schickte sie ihren rechten per Nelson-Startkick Richtung Ivors Schienbein. Im letzten Augenblick fiel ihr ein, dass sie die Old-School-Stahlkappenboots aus Jiris Laden trug, und sie spürte einen Stich von Reue. Ivor wirkte jetzt zum ersten Mal wie ein alter, schwacher, gebrochener Mann. Der Tritt ließ ihn seitlich herumwirbeln. Als ihr Schwung sie an ihm vorbeitaumeln ließ, sah sie den Schock in seinen Augen.
    Der Taser fiel klappernd zu Boden. Energisch kickte sie ihn mit dem Fuß hinter eine Reihe Scannerröhren.
    »Tut mir leid!«, brüllte sie über die Schulter, als sie sich bereits umgedreht hatte und zu Nelson hinübersprintete.
    Doch auf halber Strecke tauchte plötzlich der schwarze Ziegenhund hinter dichtem Drahtgewirr auf und schlitterte ihr in den Weg. Seine Krallen klackerten auf dem harten Boden, zwischen seinen Kiefern klemmte der Taser. Ein zäher Geiferfaden baumelte vom einen Ende der Waffe.
    Mistletoe blieb stehen. Der Hund kam ihr jetzt größer vor, wie er so dastand und sie angrinste, indem er eine Reihe Zähne entblößte, die verstörend tief in seinen Schädel hineinreichte. Er legte den Kopf auf die Seite und betrachtete sie mit einem spöttisch fragenden Ausdruck. Sie

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