Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
Vom Netzwerk:
und
wartete, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Von irgendwoher
strahlte blaues Schummerlicht und hob Manschetten und Kragen gespenstisch
hervor. Er sah weiße Gesichter und weiße Körper. Der Raum war in zwei Ebenen
angelegt. Die untere, wo er saß, war mit Tischen und Armstühlen ausgestattet.
Die obere bestand aus sechs Chambres séparées, die wie Theaterlogen aussahen,
jedes mit seinem eigenen blauen Schummerlicht. In einer davon hatte, das stand
für ihn fest, das Quartett wissentlich oder unwissentlich für den Fotografen
posiert. Er erinnerte sich an den Standpunkt, von dem aus das Bild aufgenommen
worden war. Von oben -von hoch oben. Aber >hoch oben< bedeutete irgendwo
im Dunkel der Mauern, wohin kein Auge dringen konnte, nicht einmal das von
Smiley.
    Die Musik erstarb, und aus den
Lautsprechern wurde eine Nummer angekündigt. >Alt Berlins sagte der compére, und die Stimme des compére war auch altberlinerisch:
bestimmt, nasal und suggestiv. Der smarte junge Mann hat das Tonband gewechselt,
dachte Smiley. Ein Vorhang ging hoch und gab eine kleine Bühne frei. In dem
Licht, das von ihr fiel, schaute Smiley schnell nach oben, und diesmal sah er,
wonach er gesucht hatte: ein kleines Beobachtungsfenster aus Rauchglas, sehr
hoch oben in der Wand. Der Fotograf hat Spezialkameras benützt, dachte er vage.
Heutzutage war, wie er sich hatte sagen lassen, Dunkelheit kein Hindernis mehr.
Ich hätte Toby fragen sollen, dachte er. Toby kennt diese Finessen auswendig.
Auf der Bühne führte ein Paar den Liebesakt vor, mechanisch, witzlos,
abschreckend. Smiley wendete seine Aufmerksamkeit den im Raum verstreuten Mitgästen
zu. Die Mädchen waren schön und nackt und jung, wie die Mädchen auf dem Foto.
Wenn sie versorgt waren, saßen sie eng umschlungen mit ihren Partnern,
offensichtlich entzückt über deren Senilität und Häßlichkeit. Die
Nichtversorgten saßen schweigend in einer Gruppe zusammen, wie Ersatzspieler
auf der Reservebank. Der Lärm aus den Lautsprechern schwoll an, eine Mischung
aus Musik und hektischer Berichterstattung. Und in Berlin spielen sie Alt
Hamburg, dachte Smiley. Auf der Bühne verdoppelte das Paar seine Anstrengungen,
ohne daß viel dabei herauskam. Smiley fragte sich, ob er wohl die Mädchen von dem
Foto erkennen würde, wenn sie erscheinen sollten. Sicher nicht, dachte er. Der
Vorhang fiel. Erleichtert bestellte er noch einen Whisky.
    »Ist Herr Kretzschmar heute abend
im Haus?« fragte er den Kellner.
    Herr Kretzschmar habe viele
Verpflichtungen, erklärte der Kellner. Herr Kretzschmar müsse seine Zeit
zwischen mehreren Etablissements teilen.
    »Sollte er kommen, lassen Sie es
mich bitte wissen.«
    »Er wird um Punkt elf Uhr hier
sein, mein Herr.«
    An der Bar hatten nackte Paare zu
tanzen begonnen. Er litt eine weitere halbe Stunde, bevor er an den jetzt
teilweise besetzten Nischen vorbei zum Vorraum am Eingang zurückging. Der
smarte junge Mann fragte ihn, wen er melden dürfe.
    »Sagen Sie ihm, es handle sich um
ein spezielles Anliegen.«
    Der smarte junge Mann drückte auf
einen Knopf und redete in dem extrem ruhigen Ton, in dem er mit Smiley
gesprochen hatte.
     
    Das Büro oben war so blank wie ein
ärztliches Behandlungszimmer mit einem polierten Plastikschreibtisch und einer
Menge weiterer Apparaturen. Eine Industriefernsehanlage lieferte ein gestochen
scharfes Bild dessen, was unten vorging. Durch das Beobachtungsfenster, das
Smiley bereits bemerkt hatte, sah man in die Separees. Herr Kretzschmar war
das, was die Deutschen seriös nennen. In den Fünfzigern, gepflegt, massig, mit
dunklem Anzug und heller Krawatte. Sein Haar war strohblond, wie es sich für
einen guten Sachsen gehört, und sein ausdrucksloses Gesicht verriet weder
Freude noch Ärger über den Besuch. Er schüttelte Smiley lebhaft die Hand und
winkte ihn in einen Sessel. Er schien mit der Handhabung spezieller Anliegen
wohl vertraut zu sein.
    »Bitte«, sagte er, und damit waren
die Präliminarien erledigt. Nun gab es nur noch die Flucht nach vorne.
    »Wenn ich mich nicht täusche, dann
waren Sie einmal der Geschäftspartner eines meiner Bekannten namens Otto
Leipzig«, sagte Smiley, und seine Stimme kam ihm ein bißchen zu laut vor.
    »Ich bin zufällig in Hamburg und
habe mich gefragt, ob Sie wohl wissen, wo er ist. Seine Adresse scheint
nirgends verzeichnet zu sein.«
    Herrn Kretzschmars Kaffee war in
einer Silberkanne, deren Henkel mit einer Papierserviette umwickelt war, damit
er sich beim

Weitere Kostenlose Bücher