Carre, John le
Ausgießen die Finger nicht verbrenne. Er trank und stellte seine
Tasse sorgfältig ab, um jeden Aufprall zu vermeiden.
»Wer sind Sie, bitte?« fragte Herr
Kretzschmar. Der sächselnde Tonfall quetschte seine Stimme platt. Ein kleines
Stirnrunzeln verstärkte noch den Eindruck der Seriosität.
»Otto nannte mich Max«, sagte
Smiley.
Herr Kretzschmar ging auf diese
Information nicht ein, doch er nahm sich Zeit, ehe er seine nächste Frage
vorbrachte. Wieder bemerkte Smiley, daß sein Blick seltsam unschuldig war. Otto
hatte in seinem ganzen Leben nie ein Haus, hatte Toby gesagt. BeiBlitztreffs
amtierte Kretzschmar als Schlüsselverwahrer.
»Und Ihre Geschäfte mit Herrn
Leipzig, wenn ich fragen darf?«
»Ich vertrete eine große Firma.
Neben anderen Beteiligungsgesellschaften besitzen wir eine literarische und
fotografische Agentur für freiberufliche Reporter.«
»Und?«
»Vor längerer Zeit hatte mein
Stammhaus gelegentlich Angebote Herrn Leipzigs angenommen - über Vermittler -
und sie an unsere Kunden zur Verarbeitung und Unterbringung weitergegeben.
»Und?« wiederholte Herr
Kretzschmar. Sein Kopf hatte sich leicht gehoben, aber sein Ausdruck blieb
unverändert.
»Kürzlich ist die
Geschäftsverbindung zwischen meinem Stammhaus und Herrn Leipzig wieder
aufgelebt.« Er machte eine kleine Pause. »Zunächst über das Telefon«, sagte er,
aber Herr Kretzschmar hatte vielleicht nie etwas von Fernsprechern gehört.
»Dann schickte er uns, wieder über Mittelsmänner, eine Musterkollektion seiner
Arbeiten, die wir das Vergnügen hatten, für ihn unterzubringen. Ich bin hierher
gekommen, um über Bedingungen zu sprechen und um weitere Arbeiten in Auftrag
zu geben. Vorausgesetzt natürlich, daß Herr Leipzig in der Lage ist, sie
auszuführen.«
»Was war das für eine Art Arbeit,
bitte, die Herr Leipzig Ihnen gesandt hat, bitte, Herr Max?«
»Es war ein Fotonegativ mit
erotischem Inhalt. Meine Firma besteht immer auf Negativen. Herr Leipzig wußte
das natürlich.« Smiley deutete bedächtig durch das Zimmer. »Ich möchte annehmen,
daß es von diesem Fenster aus aufgenommen wurde. Das Besondere an diesem Foto
ist, daß Herr Leipzig selbst darauf figuriert. Es ist daher anzunehmen, daß
ein Freund oder Geschäftspartner die Kamera bedient hat.«
Herrn Kretzschmars blauäugiger
Blick verlor nichts von seiner Direktheit und Unschuld. Sein seltsam glattes
Gesicht kam Smiley mutig vor, ohne daß er hätte sagen können, warum.
Wenn Sie sich mit einem Knilch
wie Leipzig einlassen wollen, dann sollten Sie einen Knilch wie Toby zu Ihrem
Schutz dabei haben, hatte Toby gesagt.
»Da ist noch ein anderer Aspekt«,
sagte Smiley.
»Ja?«
»Unglücklicherweise erlitt der
Herr, der bei dieser Gelegenheit als Vermittler fungierte, einen schweren
Unfall, kurz nachdem das Negativ in unseren Besitz gelangt war. Die übliche
Verbindung zu Herrn Leipzig war damit abgebrochen.«
Herr Kretzschmar machte kein Hehl
aus seiner Bestürzung. Ein Schatten, der echte Besorgnis auszudrücken schien,
flog über sein Gesicht, und er sagte scharf:
»Wieso ein Unfall? Was für ein
Unfall?«
»Ein tödlicher. Ich bin gekommen,
um Otto zu warnen und um mit ihm zu sprechen.«
Herr Kretzschmar besaß einen
schönen, goldenen Kugelschreiber. Er zog ihn bedachtsam aus einer Innentasche,
ließ die Spitze herausspringen und zeichnete, immer noch stirnrunzelnd, einen
perfekten Kreis auf die Schreibunterlage vor ihm. Dann setzte er obenauf ein
Kreuz, zog einen Strich durch sein Werk, machte »ts, ts«, sagte »schade«, und
nachdem er dies alles getan hatte, richtete er sich auf und sprach in knappem
Ton in einen Apparat: »Ich bin für niemanden zu sprechen.« Murmelnd bestätigte
die Stimme des grauen Empfangschefs die Anweisung.
»Sie sagten, Herr Leipzig sei ein
alter Bekannter Ihres Stammhauses?« faßte Herr Kretzschmar zusammen.
»Wie Sie selbst auch, glaube ich,
Herr Kretzschmar.«
»Bitte, erklären Sie das näher,«
sagte Herr Kretzschmar und drehte den Kugelschreiber langsam in beiden Händen,
als wolle er die Qualität des Goldes prüfen.
»Wir sprechen natürlich von alten
Geschichten«, sagte Smiley beschwichtigend.
»So habe ich es verstanden.«
»Nach seiner Flucht aus Rußland kam
Herr Leipzig nach Schleswig-Holstein«, sagte Smiley. »Die Organisation, die
seine Flucht ermöglicht hatte, war in Paris ansässig, aber als Balte zog er es
vor, in Norddeutschland zu leben. Deutschland war immer noch besetzt, und es
war
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