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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Castrup in Kopenhagen. Von dort flog er am Nachmittag weiter nach
Paris, und obwohl die Flugzeit nur eine Stunde betrug, füllte sie in Smileys
Geist die Spanne eines Lebens und führte ihn durch die ganze Skala seiner
Erinnerungen, Empfindungen und Erwartungen. Die Wut und Bestürzung über
Leipzigs Ermordung, die er bis jetzt unterdrückt hatte, wallten nun in ihm
auf, wichen aber sofort seiner Angst um die Ostrakowa: Wenn sie schon bei Leipzig
und dem General vor nichts zurückgeschreckt waren, was würden sie dann erst mit
der Ostrakowa anstellen? Die Blitzreise durch Schleswig-Holstein hatte ihm die
Behändigkeit der Jugend wiedergegeben, doch jetzt, nachdem der Höhepunkt
überschritten war, fiel ihn erneut die unheilbare Gleichgültigkeit des Alters
an. Wenn der Tod so nahe, so allgegenwärtig ist, dachte er, aus welchem Grund
sollte man da weiterkämpfen? Er dachte wieder an Karla und an dessen
Absolutheit, die zumindest dem dauernden Chaos, das Leben hieß, eine bestimmte
Richtung gab, eine Richtung auf Gewalttätigkeit und Tod; an Karla, für den
Mord nie mehr gewesen war als das notwendige Mittel zu einem großen Zweck.
    Wie kann ich gewinnen? fragte er
sich; allein, voller Zweifel und von Skrupeln gehemmt, wie kann ich da - wie
könnte da irgend jemand von uns - gegen diese gnadenlosen Exekutionskommandos
gewinnen?
    Die bevorstehende Landung des
Flugzeugs und die Aussicht auf neuerliche Jagd belebten ihn wieder. Es gibt
zwei Karlas, überlegte er in Erinnerung an das unbewegte Gesicht, an die
geduldigen braunen Augen, den drahtigen Körper des Mannes, der stoisch auf
seine eigene Zerstörung hinarbeitete. Da ist Karla, der Profi, der so
kaltblütig war, daß er, wenn nötig, zehn Jahre warten konnte, bis sich ein
Einsatz auszahlte: in Bill Haydons Fall, zwanzig; Karla, der alte Spion, der
Pragmatiker, der ein Dutzend Fehlschläge für einen großen Erfolg in Kauf nahm.
    Und da ist der andere Karla, der
Mann, der letzten Endes doch ein Herz besitzt, einer großen Liebe fähig ist,
Karla, dem der Makel der Menschlichkeit anhaftet. Ich sollte mich nicht kopfscheu
machen lassen, wenn er, um seine Schwäche zu verteidigen, auf die
einschlägigen Methoden seines Metiers zurückgreift. Als er in seinem Abteil nach
dem Strohhut über sich griff und bereits im Geist die nächsten Schachzüge
plante, erinnerte Smiley sich an ein leichtsinniges Versprechen, das er einst
gegeben hatte: Auch Karla könne man zu Fall bringen. »Nein«, war damals seine
Antwort auf eine Frage gewesen, die fast aufs Haar derjenigen glich, die er
sich soeben selber gestellt hatte. »Nein, Karla ist nicht kugelfest. Weil er
ein Fanatiker ist. Und wenn ich dann noch ein Wort mitzureden habe, wird ihn
eines Tages eben dieser Mangel an Mäßigung zu Fall bringen.«
    Als er zum Taxistand hastete, fiel
ihm ein, daß er diese Bemerkung damals einem gewissen Peter Guillam gegenüber
getan hatte, Peter Guillam, an den er zufälligerweise gerade sehr viel denken
mußte.
     
     

18
     
     
     
     
    Maria Ostrakowa lag auf dem Sofa,
blickte hinaus ins Zwielicht und fragte sich ernsthaft, ob es wohl den
Weltuntergang ankündige.
    Den ganzen Tag hatte dasselbe trübe
Grau über dem Hof gelegen und ihr winziges Universum einem immerwährenden Abend
ausgeliefert. In der bräunlichen Morgendämmerung war das Grau noch dichter
geworden. Um Mittag, kurz nach dem Auftauchen der Männer, erfolgte eine
himmlische Stromsperre, Grabesfinsternis sank herab, wie ein Vorgriff auf Maria
Ostrakowas eigenes Ende. Und jetzt, am Abend, schickte sich ein kriechender
Nebel an, die vor der Dunkelheit zurückweichenden Kräfte des Lichts endgültig
zu besiegen. Und genauso wird es mit der Ostrakowa enden, dachte sie ohne
Bitterkeit: mit meinem zerschlagenen, schwarz und blau gefleckten Körper und
mit meiner belagerten Festung und mit meinen Hoffnungen auf die Wiederkunft des
Erlösers; genauso wird es enden, mein Lebenslicht wird dahinschwinden.
    Als sie an diesem Morgen erwacht
war, hatte sie sich an Händen und Füßen gefesselt geglaubt. Sie hatte versucht,
ein Bein zu bewegen, und schon schnitten glühende Ketten ihr in Schenkel,
Brust und Bauch. Sie hatte einen Arm angehoben, doch eiserne Bande rissen ihn
wieder zurück. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie ins Badezimmer
gekrochen, und eine zweite, bis sie ausgezogen war und im warmen Wasser lag.
Beim Hineinsteigen fürchtete sie, vor Schmerzen ohnmächtig zu werden, ihre vom
Straßenpflaster aufgeschundene Haut

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