Carre, John le
Make-up aufgelegt
und Bücher neben dem Sofa gestapelt, um eine Atmosphäre entspannter
Beschaulichkeit zu schaffen.
»Besuch, Madame, Herren . . . Nein,
ihren Namen wollten sie nicht sagen . . . nur auf der Durchreise . . . kannten
ihren Gatten, Madame. Emigranten, wie Sie ... Nein, es sollte eine Überraschung bleiben, Madame . . . Die Herren sagten, sie hätten Geschenke für
Sie von Verwandten, Madame ... ein Geheimnis, Madame, und einer war so groß
und kräftig, ein schöner Mann . . . Nein, sie kommen ein andermal wieder, sie
sind geschäftlich hier, viele Termine, sagten sie ... Nein, in einem Taxi, und
sie ließen es warten - was das gekostet haben muß, bedenken Sie bloß!«
Die Ostrakowa hatte gelacht und der
Concierge die Hand auf den Arm gelegt, um sie auch physisch in ein großes
Geheimnis einzubeziehen, während der Ehetrottel dastand und die beiden Frauen
mit Zigarettenrauch und Knoblauch einnebelte.
»Hören Sie zu«, sagte die
Ostrakowa. »Alle beide. Passen Sie gut auf. Ich weiß genau, wer sie sind, diese
reichen und gutaussehenden Besucher. Es sind die beiden nichtsnutzigen Neffen
meines Mannes aus Marseille, Faulpelze und Herumtreiber. Wenn sie mir ein
Geschenk mitbringen, dann können Sie sicher sein, daß sie dafür ein Bett und
womöglich auch Abendessen wollen. Seien Sie so gut und sagen Sie ihnen, ich
bliebe noch ein paar Tage auf dem Land. Ich habe die beiden von Herzen gern,
aber ich brauche meine Ruhe.«
Mochten auch Reste von Zweifel oder
Enttäuschung in den hausmeisterlichen Herzen zurückgeblieben sein, die
Ostrakowa entschädigte sie durch eine Geldspende, und jetzt war sie wieder
allein - die Schlaufe um den Hals. Sie streckte sich auf dem Sofa aus und schob
ein Kissen unter die Hüfte, eine halbwegs erträgliche Lage. Die Waffe in ihrer
Hand war auf die Tür gerichtet, und sie konnte die treppauf kommenden Schritte
hören, zwei Paar Füße, das eine schwer, das andere leicht.
Wieder sagte sie vor sich hin: »Ein großer Mann, ein Ledermantel . . . Ein breiter Mann, graue Schuhe mit Lochmuster . . .«
Dann das Klopfen, schüchtern wie
eine kindliche Liebeserklärung. Und die unvertraute Stimme, die ein
unvertrautes Französisch sprach mit einem unvertrauten Akzent, langsam und
klassisch, wie ihr Mann Ostrakow, und mit der gleichen gewinnenden Weichheit.
»Madame Ostrakowa. Bitte lassen Sie
mich ein. Ich will Ihnen helfen.«
Mit dem Gefühl, das Ende aller
Dinge sei da, entsicherte die Ostrakowa bedächtig die Pistole ihres Mannes und
begab sich mit festen, wenn auch schmerzenden Schritten zur Tür. Sie schob sich
seitwärts heran, und sie trug keine Schuhe, und sie mißtraute dem Guckloch.
Nichts vermochte sie zu überzeugen, daß es nicht in beide Richtungen gucken
konnte. Deshalb nahm sie den Umweg an der Wand entlang, denn sie hoffte, so aus
der Sichtlinie zu bleiben, und unterwegs kam sie an Ostrakows verblichenem
Portrait vorbei und verübelte ihm sehr, daß er so egoistisch gewesen war, früh
zu sterben, anstatt am Leben zu bleiben und sie zu beschützen. Dann dachte
sie: nein. Darüber bin ich hinaus. Ich habe selber Mut genug.
Und den hatte sie. Sie zog in den
Kampf, jeder Augenblick konnte ihr letzter sein, aber der Schmerz war
verschwunden, ihr Körper fühlte sich so bereit, wie er es für Glikman gewesen
war, immer, zu jeder Zeit; sie fühlte seine Kraft in ihre Glieder strömen wie
ein Verstärkungskontingent. Glikman war bei ihr, und sie entsann sich seiner
Stärke, ohne sie sich zu wünschen. Wie ein biblisches wunder schien seine
unerschöpfliche Liebesfähigkeit sie für diesen Moment gestählt zu haben. Sie
hatte Ostrakows Ruhe und sie hatte Ostrakows Ehre; sie hatte seine Waffe. Doch
ihr verzweifelter einsamer Mut kam aus ihr selber, war der Mut einer bedrohten
und beraubten und bis aufs Blut gereizten Mutter: Alexandra! Die Männer, die
gekommen waren, um sie zu töten, waren die gleichen, die sie unerfüllter
Mutterpflichten geziehen, die Ostrakow und Glikman getötet hatten und die ganze
unselige Welt töten würden, wenn sie, Maria Ostrakowa, ihnen nicht Einhalt
gebot. Sie wollte genau zielen, ehe sie feuerte, und sie hatte sich ausgedacht,
daß sie, da die Tür geschlossen und die Kette vorgelegt und das Guckloch da
war, aus nächster Nähe zielen könnte, denn sie machte sich keine Illusionen
über ihre Treffsicherheit. Sie legte den Finger auf das Guckloch, damit niemand
mehr hereinschauen könne, dann preßte sie das Auge dagegen, um zu sehen,
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