Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
Vom Netzwerk:
Bandaufnahme
gemacht«, sagte Smiley, ohne im mindesten auf diese Gefühlsentfaltung zu
achten. »Es gibt das Foto, das ich Ihnen gezeigt habe, und irgendwo gibt es
auch eine Bandaufnahme, die Sie für ihn verwahren.« Der Rücken vor Smiley ließ
nicht erkennen, ob Herr Kretzschmar zugehört hatte. »Sie haben selbst gestern
Nacht davon gesprochen«, fuhr Smiley im gleichen ungerührten Ton fort. »Sie
sagten, sie hätten über Gott und die Welt geredet. Sie sagten, Otto hätte
gelacht, wie ein Henker, drei Sprachen gleichzeitig gesprochen, gesungen,
Witze gerissen. Sie haben nicht nur die Fotos für Otto aufgenommen, sondern
auch das Gespräch. Ich vermute, daß Sie auch den Brief haben, der ihm über Sie
aus London geschickt wurde.«
    Herr Kretzschmar hatte sich
umgedreht und starrte in heller Empörung auf Smiley.
    »Wer hat ihn umgebracht?« fragte
er. »Herr Max, ich frage Sie als Soldat!«
    Smiley hatte das abgerissene Stück
Postkarte aus der Tasche gezogen.
    »Wer hat ihn umgebracht?«
wiederholte Herr Kretzschmar.
    »Ich will es wissen!«
    »Das sollte ich Ihnen doch
vergangene Nacht bringen?« sagte Smiley, ohne auf seine Frage einzugehen. »Wer
immer Ihnen das da bringt, bekommt dafür die Bänder und was Sie sonst noch für
ihn verwahrt haben. So lautete die Abmachung zwischen Ihnen beiden.«
    Kretzschmar nahm die Karte.
    »Er nannte es seine Moskauer
Regeln«, sagte Herr Kretzschmar.
    »Otto und der General bestanden
darauf, obgleich es mir persönlich lächerlich vorkam.«
    »Haben Sie die andere Hälfte der
Karte?« fragte Smiley.
    »Ja«, sagte Herr Kretzschmar.
    »Dann bitte prüfen Sie, ob sie
zusammenpassen und geben Sie mir das Material. Ich werde es genau so verwenden,
wie Otto dies gewünscht hätte.«
    Er mußte es zweimal in jeweils
anderer Formulierung sagen, bevor Herr Kretzschmar antwortete.
    »Versprechen Sie das?«
    »Ja.«
    »Und die Mörder? Was passiert mit
denen?«
    »Wahrscheinlich sind sie bereits
auf der anderen Seite des Wassers in Sicherheit«, sagte Smiley. »Es sind ja
nur ein paar Kilometer.«
    »Wozu soll das Material dann gut
sein?«
    »Das Material bringt den Mann in
Schwierigkeiten, der die Mörder ausgeschickt hat«, sagte Smiley, und
vielleicht ließ die eiserne Beherrschung seines Besuchers Herrn Kretzschmar
ahnen, daß Smiley ebenso schmerzlich, vielleicht sogar, auf seine spezielle
Art, noch schmerzlicher betroffen war als er selbst.
    »Es bedeutet also seinen Tod?«
fragte Herr Kretzschmar.
    Smiley ließ sich zur Beantwortung
dieser Frage viel Zeit.
    »Es bedeutet schlimmeres für ihn
als den Tod«, sagte er.
    Einen Augenblick schien es, als ob
Herr Kretzschmar fragen wollte, was denn schlimmer sei als der Tod; doch er
unterließ es.
    Er hielt die halbe Postkarte
apathisch in der Hand und verließ das Zimmer. Smiley wartete geduldig. Eine
Messinguhr mit automatischem Aufzug werkte rastlos vor sich hin, Goldfische
glotzten ihn aus einem Aquarium an. Herr Kretzschmar kam wieder zurück, mit
einer weißen Pappschachtel in der Hand. Darinnen lagen, in einem Polster aus
Klosettpapier, ein Stoß zusammengefalteter, fotokopierter Blätter, die mit
einer ihm bereits vertrauten Handschrift bedeckt waren, sowie sechs
Miniaturkassetten aus blauem Plastik, die Art, wie sie Menschen von heute bevorzugen.
    »Er hat sie mir anvertraut«, sagte
Herr Kreztschmar.
    »Das war klug von ihm«, sagte
Smiley.
    Herr Kretzschmar legte eine Hand
auf Smileys Schulter: »Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie's mich wissen«,
sagte er. »Ich habe meine Leute. Wir leben in einer gewalttätigen Zeit.«
     
    Von einer Telefonzelle aus rief
Smiley nochmals den Flughafen Hamburg an, um Mister Standfasts Flug nach London
Heathrow zu bestätigen. Danach kaufte er Briefmarken und einen kräftigen
Umschlag, auf den er eine fiktive Adresse in Adelaide, Australien, schrieb. Er
steckte Mister Standfasts Paß hinein und warf das Kuvert in einen Briefkasten.
Dann ging er als ganz einfacher Mister George Smiley, Beruf Angestellter, zum
Bahnhof zurück und fuhr ohne Zwischenfall über die Grenze nach Dänemark.
Während der Fahrt ging er auf die Toilette und las dort Maria Ostrakowas Brief,
alle sieben Seiten, die der General selbst auf Mikhels antiquiertem Naßkopierer
in der kleinen Bibliothek am Britischen Museum abgelichtet hatte. Was er las,
paßte zu dem, was er an diesem Tag erlebt hatte und erfüllte ihn mit
wachsender, schier unbändiger Sorge. Per Bahn, Fährschiff und Taxi eilte er zum
Flughafen

Weitere Kostenlose Bücher