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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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angehakter Fisch, und Smiley mußte sich in
Sekundenschnelle entscheiden, wie er ihn an Land ziehen sollte. Grigoriew trug
eine randlose Brille und wurde um das Kinn herum zu fett. Sein Haaröl, von der
erhöhten Körpertemperatur erwärmt, gab einen Zitronendunst ab. Er knetete noch
immer seine Schulter, aber jetzt starrte er seine Entführer der Reihe nach an.
Schweiß rann über sein Gesicht wie Regentropfen.
    »Wo bin ich?« verlangte er wild von
Toby zu wissen, den er für den Anführer hielt; Smiley ignorierte er
vollständig. Seine Stimme war heiser und schrill. Er sprach deutsch, mit
slavischen Kehllauten.
    Drei Jahre als Erster Sekretär
(Handel), sowjetische Militärmission in Potsdam , erinnerte sich Smiley. Kein Hinweis auf geheimdienstliche
Verbindung.
    »Ich verlange zu erfahren, wo ich
bin!« schrie Grigoriew. »Ich bin höherer Sowjetdiplomat. Ich verlange,
unverzüglich mit meinem Botschafter zu sprechen!«
    Die unablässige Beschäftigung
seiner Hand mit der lädierten Schulter nahm seiner Entrüstung die Schärfe.
    »Man hat mich gekidnappt! Ich wurde
gegen meinen Willen hierher gebracht! Wenn Sie mich nicht unverzüglich zu
meinem Botschafter zurückkehren lassen, gibt es einen ernsten internationalen
Zwischenfall!«
    Grigoriew hatte die Bühne für sich
allein und vermochte sie nicht ganz auszufüllen. Nur George wird Fragen
stellen, hatte Toby seinem Team eingeschärft. Nur George wird antworten. Doch
Smiley saß so still da wie ein Bestattungsunternehmer; anscheinend konnte
nichts ihn aus der Ruhe bringen.
    »Wollen Sie Lösegeld?« rief
Grigoriew ihnen allen zu. Ein gräßlicher Gedanke schien ihm zu kommen. »Sind
Sie Terroristen?« flüsterte er. »Aber wenn Sie Terroristen sind, warum
verbinden Sie mir nicht die Augen? Warum lassen Sie mich Ihre Gesichter sehen?«
Er glotzte zuerst de Silsky an, dann Skordeno. »Legen Sie Gesichtsmasken an.
Gesichtsmasken! Ich will keinen von Ihnen kennen!«
    Gereizt durch das anhaltende
Schweigen schlug Grigoriew die geballte Faust in die Handfläche und brüllte
zweimal: »Ich bestehe darauf!« Woraufhin Smiley mit der Miene amtlichen Bedauerns
ein Notizbuch öffnete, das auf seinem Schoß lag, etwa so, wie es Kirow getan
hätte, und einen leisen, sehr amtlichen Seufzer von sich gab. »Sie sind
Botschaftsrat Grigoriew von der sowjetischen Botschaft in Bern?« fragte er mit
denkbar gelangweilter Stimme.
    »Grigoriew! Ich bin Grigoriew! Ja,
ausgezeichnet, ich bin Grigoriew! Und wer sind Sie, bitte? Al Capone? Wer sind
Sie? Warum fixieren Sie mich wie ein Kommissar?«
    Kommissar war für die Beschreibung
von Smileys Verhalten unübertrefflich: Es war träge bis zur Gleichgültigkeit.
    »Nun, Herr Botschaftsrat, wir haben
keine Zeit zu verlieren, ich muß Sie daher bitten, sich die belastenden Fotos
auf dem Tisch hinter Ihnen genau anzusehen«, sagte Smiley mit der gleichen
wohlberechneten Trägheit.
    »Fotos? Was für Fotos? Wie können
Sie einen Diplomaten belasten? Ich verlange, unverzüglich mit meinem
Botschafter zu telefonieren!«
    »Ich würde dem Herrn Botschaftsrat
empfehlen, zuerst die Fotos anzusehen«, sagte Smiley in mürrischem, keinem
Bundesland zugehörigen Deutsch. »Nach Kenntnisnahme steht es dem Herrn
Botschaftsrat frei, anzurufen, wen immer er möchte. Bitte links zu beginnen«,
schlug er vor. »Die Fotos sind von links nach rechts angeordnet.«
    Ein Mensch, der erpreßt wird, hat
die Würde aller unserer Schwächen, dachte Smiley, als er verstohlen
beobachtete, wie Grigoriew am Tisch entlangschlurfte, als träfe er die Auslese
an einem der zahllosen diplomatischen Büffets. Ein Mensch, der erpreßt wird,
ist unser aller Ebenbild, geschnappt im letzten Moment, wenn wir versuchen, der
Falle zu entrinnen. Smiley hatte die Anordnung der Bilder persönlich besorgt;
er hatte sich dabei die orchestrierte Abfolge von Katastrophen aus Grigoriews
Sicht vorgestellt. Die Grigoriews parken ihren Mercedes vor der Bank. Die
Grigoriewa wartet mit ihrem chronisch verbiesterten Gesichtsausdruck allein
auf dem Fahrersitz und umklammert das Steuer, für den Fall, daß jemand
versuchen sollte, es ihr wegzunehmen. Grigoriew und die kleine Natascha auf einem
Tele-Foto, dicht an dicht auf einer Bank sitzend. Grigoriew im Bankgebäude,
mehrere Aufnahmen, als Gipfelpunkt ein prachtvoller Schnappschuß über die
Schulter Grigoriews, der eine Auszahlungsquittung unterschreibt, mit dem vollen
Namen Adolf Glaser klar leserlich in Maschinenschrift über seinem

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