Carre, John le
»Grünes Licht,
George? Oder nicht? George, bitte! Es geht jetzt um Sekunden!«
»Wird das Haus überwacht sein, wenn
die Grigoriewa mit den Kindern zurückkommt?«
»Vollständig.«
Wiederum zögerte Smiley
sekundenlang. Sekundenlang wog er die Mittel gegen den Zweck ab, dann schien
Karlas graue und ferne Gestalt ihn anzuspornen.
»Also grünes Licht«, sagte Smiley.
»Ja. Wir wollen.«
Er hatte kaum zu Ende gesprochen,
als Toby auch schon in der keine zwanzig Meter vom Pavillon entfernten
Telefonzelle stand. »Mit Herzklopfen wie eine komplette Dampfmaschine«, wie er
später behauptete. Aber auch mit dem Feuer des Kampfes in den Augen.
In Sarratt existiert sogar ein
maßstabgetreues Modell der Szene, und von Zeit zu Zeit holen die
Schulungsleiter es hervor und erzählen die Geschichte.
Die Altstadt von Bern beschreibt
man am besten als einen Berg, eine Festung und eine Halbinsel, alles zugleich,
wie das Modell zeigt. Zwischen der Kirchenfeld- und der Kornhausbrücke zieht
die Aare, tief in einer schwindelnden Schlucht, einen hufeisenförmigen Bogen,
und die alte Stadt nistet besonnen in seinem Schutz, ihre mittelalterlichen
Straßen steigen hügelan bis zu dem prächtigen Spitzturm des spätgotischen
Münsters, das die Krone und die Krönung des Berges bildet. Der Fremdling, der die
Aussicht von der Südseite, der auf gleicher Höhe liegenden Plattform, aus
genießen will, mag schaudernd unter sich etwa dreißig Meter nackte Felswand
erblicken, die senkrecht in den brodelnden Fluß abstürzt. Eine Stelle, die
Selbstmörder anziehen muß und es zweifellos schon mehrmals getan hat. Eine
Stelle, an der, wie der Volksmund zu berichten weiß, einst ein frommer Mann von
seinem Pferd abgeworfen wurde, und, obgleich er in diese furchtbare Tiefe
stürzte, durch Gottes Hilfe überlebte, von Stund an der heiligen Kirche diente
und dreißig Jahre danach in hohem Alter eines friedlichen Todes starb. Im
übrigen ist die Plattform ein angenehmer Aufenthaltsort mit Bänken und
Baumreihen und einem Kinderspielplatz - und, seit kurzem, einem
Freiluft-Schachspiel. Die Figuren sind über einen halben Meter hoch, leicht
genug, daß man sie bewegen kann, aber schwer genug, um den gelegentlichen
Stößen des Südwinds standzuhalten, der von den Höhen herabstürmt. Auch diese
Schachfiguren sind im Sandkastenmodell von Sarratt zu sehen. Als Toby Esterhase
an jenem Sonntagvormittag dort ankam, hatte der unerwartete Sonnenschein
bereits eine kleine und adrette Schar von Spielbegeisterten angezogen, die
rings um das schwarz-weiß karierte Pflastergeviert standen oder saßen. Und mitten
unter ihnen, keine zwei Meter von Toby entfernt, stand, so blind und taub für
seine Umgebung, wie man es sich irgend wünschen konnte, Botschaftsrat
(Außenhandel) Anton Grigoriew von der sowjetischen Gesandtschaft in Bern, der
alle Amts- und Familienbande abgeschüttelt hatte und aufmerksam durch seine
randlose Brille jeden Zug der Spieler verfolgte. Und hinter Grigoriew standen
Skordeno und sein Kollege de Silsky und beobachteten Grigoriew. Die Spieler
waren jung und bärtig und lässig - Kunststudenten vielleicht, auf jeden Fall
wollten sie für solche gehalten werden. Und sie vergaßen auch nicht einen Augenblick
lang, daß sie ein Duell unter den Augen der Öffentlichkeit ausfochten.
Toby war schon früher ebenso nah an
Grigoriew herangekommen, aber nie, während die Aufmerksamkeit des Russen so
ausschließlich einer anderen Sache galt. Mit der Ruhe, die dem Kampf
vorausgeht, taxierte Toby ihn und fand bestätigt, was er schon immer behauptet
hatte: Anton Grigoriew war kein ausgebildeter Agent. Seine hingerissene
Aufmerksamkeit, die sorglose Offenheit seines Mienenspiels verrieten eine
Unschuld, die in den Palastkämpfen der Moskauer Zentrale nie und nimmer hätte
überleben können.
Tobys äußere Erscheinung gehörte
gleichfalls zu den Glückstreffern dieses Tages. Zu Ehren des Berner Sonntags
trug er einen dunklen Mantel und seine schwarze Pelzmütze. Somit war er in
diesem entscheidenden Augenblick aus dem Stegreif das, was er zu scheinen
beabsichtigt hätte, wenn alles bis in die letzte Kleinigkeit geplant gewesen
wäre: ein angesehener Bürger, der sich sonntags ein bißchen Muße gönnt.
Tobys dunkle Augen hoben sich zum
Münsterplatz. Die Absetzautos standen bereit.
Gedämpftes Lachen stieg auf. Mit
ausholender Bewegung hob einer der bärtigen Spieler seine Königin vom Feld,
wirbelte sie scheinbar mühsam, als wäre sie
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