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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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und machte sich mit ihrer schweren Einkaufstasche, die sie schon am
Vorabend bereitgestellt hatte, auf den gewohnten Weg. Sie ging an ihren drei
Stammgeschäften vorbei, ohne eines davon zu betreten, und versuchte
herauszufinden, ob sie dabei sei, den Verstand zu verlieren oder nicht. Ich
bin verrückt. Ich bin nicht verrückt. Jemand versucht, mich umzubringen. Jemand
versucht, mich zu beschützen. Ich bin in Sicherheit. Ich bin in Lebensgefahr. Hin
und her.
    In
den vier Wochen, die seit dem Besuch ihres kleinen estnischen Beichtvaters
vergangen waren, hatte sie viele Veränderungen an sich festgestellt, und für
die meisten war sie gar nicht undankbar. Die Frage, ob sie sich in ihn verliebt
habe, stand dabei nicht zur Debatte: Er war im genau richtigen Augenblick
erschienen, und das Piratenhafte an ihm hatte ihren Oppositionsgeist neu angefacht,
als er gerade zu erlöschen drohte. Der Magier hatte sie dem Leben
wiedergegeben, und er besaß genug von einem Gassenkater, um sie an Glikman und
auch an andere Männer zu erinnern; sie war nie eine Kostverächterin gewesen.
Und da der Magier, dachte sie, zu alledem gut aussieht und ein Frauenkenner ist
und in mein Leben tritt, bewaffnet mit einem Bild meines Peinigers sowie dem
offensichtlichen Vorsatz, diesem Burschen das Handwerk zu legen - nun, da wäre
es doch für eine alte einsame Närrin wie mich ausgesprochen unschicklich, sich nicht auf der Stelle in ihn zu verlieben!
    Doch
mehr als sein Zauber hatte sie sein Ernst beeindruckt. »Sie dürfen nicht ausschmücken«, hatte er mit ungewöhnlicher Schärfe zu ihr gesagt, wenn sie sich zur
Unterhaltung oder Abwechslung eine kleine Abschweifung von ihrer schriftlichen
Version an den General erlaubte. »Nur weil Sie sich erleichtert fühlen,
dürfen Sie nicht fälschlich annehmen, die Gefahr sei vorüber.«
    Sie
hatte Besserung gelobt.
    »Die
Gefahr ist absolut«, hatte er zu ihr gesagt, als er ging. »Es liegt nicht in Ihrer
Macht, sie größer oder kleiner zu machen.« Schon früher hatten manche Leute ihr
von Gefahr gesprochen, aber wenn der Magier es sagte, so glaubte sie ihm.
    »Gefahr
für meine Tochter?« hatte sie gefragt. »Gefahr für Alexandra?«
    »Ihre
Tochter hat damit nichts zu tun. Sie können sicher sein, daß das Mädchen keine
Ahnung von dem hat, was vorgeht.«
    »Gefahr
für wen also?«
    »Gefahr
für uns alle, die wir von der Sache wissen«, hatte er geantwortet, als sie ihm
unter der Tür voll Glück eine - die einzige - Umarmung gewährte. »Gefahr vor
allem für Sie.«
    Und
nun, während der letzten drei Tage - oder waren es zwei? oder zehn? -, hätte
die Ostrakowa geschworen, daß die Gefahren sich um sie scharten wie eine Armee
von Schatten um ihr eigenes Totenbett. Die absolute Gefahr; die größer oder
kleiner zu machen nicht in ihrer Macht lag. Und sie sah die Gefahr wieder an
diesem Samstagmorgen, als sie in ihren frisch geputzten Winterstiefeln
dahinstapfte und die schwere Einkaufstasche an der Seite schwang: dieselben beiden
Männer, die ihr, trotz Wochenende, beharrlich folgten. Harte Burschen. Härter
als der Rothaarige. Männer, die in den Zentralen herumsitzen und Verhören
beiwohnen. Und nie ein Wort sprechen. Der eine ging fünf Meter hinter ihr, der
andere hielt sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf gleicher Höhe mit
ihr, ging gerade an der Tür dieses Halunken Mercier vorbei, des Krämers, dessen
rot-grüne Markise so tief herabhing, daß sie sogar für jemanden vom bescheidenen
Wuchs der Ostrakowa eine Gefahr war.
    Als
sie sich zum erstenmal gestattete, von den beiden Notiz zu nehmen, hatte sie
beschlossen, sie für die Männer des Generals zu halten. Das war am Montag
gewesen, oder war's am Freitag? General Wladimir hat mir seine Leibwache
abgetreten, dachte sie belustigt, und einen ganzen gefährlichen Vormittag
hindurch hatte sie sich die freundlichen Gesten ausgemalt, mit denen sie den
beiden ihre Dankbarkeit kundtun wollte: das wissende Lächeln, das sie ihnen
schenken würde, wenn niemand hersah; sogar die Suppe, die sie ihnen bereiten
und bringen wollte, um ihnen das Wachestehen in den Tornischen zu erleichtern.
Zwei hünenhafte Leibwächter, nur für eine alte Dame, dachte sie. Ostrakow hatte
recht gehabt: Der General war ein ganzer Mann! Am zweiten Tag entschied sie,
daß es die beiden überhaupt nicht gebe und daß das Hirngespinst von den zwei
Schutzengeln nur ihrem Wunsch nach einem erneuten Zusammensein mit dem Magier
entsprungen sei. Ich versuche,

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