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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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sondern im Rinnstein, wobei er sie bei jedem
Schritt mit dem Regenwasser von gestern anspritzte. Mit ihrer fatalen
Angewohnheit, anderen Leuten in die Augen zu schauen, starrte die Ostrakowa auf
ihre beiden Begleiter und sah Gesichter, die sie bereits identifiziert hatte
und auswendig kannte. Sie hatten Ostrakow gejagt, sie hatten Glikman ermordet,
und ihrer persönlichen Ansicht nach ermordeten sie schon seit Jahrhunderten
das ganze russische Volk, sei es im Namen des Zaren, Gottes oder Lenins. Als
ihr Blick sich von ihnen löste, sah sie den schwarzen Wagen, der ihr auf dem
Weg zur Kirche gefolgt war, langsam die leere Straße entlang auf sich zufahren.
Also tat sie genau das, was sie die ganze Nacht lang geplant, sich, während sie
wach lag, ausgedacht hatte. In ihrer Einkaufstasche steckte heute ein altes
Bügeleisen, ein Stück Trödel, den Ostrakow in den Tagen erworben hatte, als der
arme sterbende Mann sich einbildete, mit dem Antiquitätenhandel ein paar
zusätzliche Francs verdienen zu können. Die Einkaufstasche war aus grünen und
braunen Lederflecken und sehr stabil. Die Ostrakowa holte nach hinten aus, ließ
die Tasche kreisen und schwang sie mit aller Kraft nach dem Mann im Rinnstein -
nach seinen Leisten, dem verhaßten Sitz seiner Schlechtigkeit. Er fluchte - in
welcher Sprache, konnte sie nicht hören - und ging in die Kniee. Von hier an
kam ihr Plan ins Schleudern. Sie hatte nicht mit zwei Wegelagerern, einem
rechts, einem links, gerechnet, und sie brauchte Zeit, um wieder ins Gleichgewicht
zu kommen und das Plätteisen nach dem zweiten Mann zu schwingen. Er ließ sie
nicht dazu kommen. Er schlang seine Arme um die ihren, packte sie wie den
Fettsack, der sie war, und hob sie in die Luft. Sie sah ihre Tasche fallen und
hörte das Scheppern des Bügeleisens, als es aus der Tasche auf einen
Kanaldeckel fiel. Wie sie so immer noch nach unten blickte, sah sie, daß ihre
Stiefel zehn Zentimeter über dem Boden baumelten, als hätte sie sich aufgehängt
wie ihr Bruder Niki - seine Füße waren genauso verdreht gewesen wie die eines
Schwachsinnigen. Sie bemerkte, daß eine ihrer Stiefelkappen, die linke, bei der
Keilerei verkratzt worden war. Die Arme ihres Angreifers schlössen sich noch
enger um ihre Brust, und sie fragte sich, ob wohl ihre Rippen brechen würden,
ehe sie erstickte. Sie fühlte, wie der Mann sie nach hinten bog und vermutete,
daß er Stand fassen wollte, um sie in den Wagen zu schwingen, der nun ziemlich
schnell näherkam: daß sie entführt werden sollte. Diese Vorstellung entsetzte
sie. Nichts, am wenigsten der Tod, erschien ihr in diesem Augenblick so
schrecklich wie der Gedanke, diese Schweine würden sie nach Rußland zurückbringen
und jenem langsamen doktrinären Gefängnistod ausliefern, an dem, dessen war sie
sicher, Glikman zugrunde gegangen war. Sie wehrte sich mit aller Kraft, brachte
es fertig, ihn in die Hand zu beißen. Sie sah ein paar Passanten, die genauso
verschreckt zu sein schienen wie sie selber. Dann bemerkte sie, daß der Wagen
nicht verlangsamte und daß die Männer etwas ganz anderes im Sinn hatten: Man
wollte sie keineswegs entführen, man wollte sie töten.
    Er
schleuderte sie.
    Sie
trudelte, stürzte aber nicht, und als der Wagen ausbog, um sie zu überrollen,
dankte sie Gott und allen seinen Engeln, daß sie sich doch noch zu den
Winterstiefeln entschlossen hatte, denn die Stoßstange traf sie an den
Wadenbeinen, und als sie ihre Füße wiedersah, waren sie in gerader Linie vor
ihrem Gesicht, und ihre bloßen Schenkel waren gespreizt wie bei einer Geburt.
Eine Weile flog sie, und schlug dann mit allem zugleich aufs Pflaster -mit dem
Kopf, dem Rückgrat und den Fersen -, rollte danach wie eine Wurst über die
Steine. Der Wagen war vorüber, aber sie hörte ihn kreischend anhalten und
fragte sich, ob er wohl umkehren und sie nochmals überfahren werde. Sie
versuchte, sich zu bewegen, fühlte sich aber zu schläfrig. Sie hörte Stimmen
und das Schlagen von Autotüren, sie hörte den Motor aufbrüllen und verklingen,
also entfernte er sich entweder, oder sie verlor das Gehör.
    »Nicht
anfassen«, sagte jemand.
    »Nein,
bitte nicht«, dachte sie.
    »Es
ist nur der Mangel an Sauerstoff«, hörte sie sich sagen. »Helfen Sie mir auf
die Beine, und alles ist wieder gut.«
    Warum
sagte sie das? Oder dachte sie es nur?
    »Auberginen«, sagte sie. »Holen Sie die Auberginen.« Sie wußte nicht, ob sie von
ihren Einkäufen sprach oder von den Politessen, die wegen der

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