Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
Vom Netzwerk:
erlöste die erwachende
Welt sie für ein paar Stunden von ihren Gedanken.
     

13
     
     
     
     
    Die Kunstgalerie lag an jenem Ende
der Bond Street, das in Fachkreisen als das Schlechte gilt, und Smiley fand
sich am Montagvormittag dort ein, lang ehe irgendein respektabler Kunsthändler
aus den Federn war.
    Er hatte einen unwahrscheinlich
ruhigen Sonntag verbracht. Die Bywater Street war spät erwacht, und Smiley mit
ihr. Während er schlief, hatte sein Gedächtnis weitergearbeitet und den ganzen
Tag hindurch war es auf dem Sprung gewesen, mit dem einen oder anderen
bescheidenen Fundstück aufzuwarten. Zumindest in seinem Gedächtnis war sein
schwarzer Gral ein Stück nähergerückt. Sein Telefon hatte kein einziges Mal
geklingelt, ein leichter, aber beharrlicher Katzenjammer sorgte für anhaltende
stille Nachdenklichkeit. Er war, wider bessere Einsicht, Mitglied eines Clubs
in der Nähe von Pall Mall, wo er in kaiserlicher Einsamkeit einen Lunch aus
aufgewärmtem Steak-und-Kidney-Pie zu sich nahm. Anschließend hatte er sich vom
Chefportier seine Kassette aus dem Clubsafe geben lassen und ihr in aller
Stille ein paar illegale Besitztümer entnommen, unter anderem einen auf seinen
Arbeitsnamen Standfast lautenden britischen Paß, der nie den Weg zurück zu den
Housekeepers des Circus gefunden hatte; einen dazu passenden internationalen
Führerschein; eine ansehnliche Geldsumme in Schweizer Franken, die unstreitig
sein Privatbesitz waren, aber ebenso unstreitig im Widerspruch zu den
geltenden Devisenbestimmungen hier lagerten. Jetzt steckten sie in seiner
Tasche.
    Die Galerie war in blendendem Weiß
gehalten, die Leinwände hinter den Fenstern aus Panzerglas hoben sich kaum
davon ab: weiß auf weiß, und die gerade noch wahrnehmbare Kontur einer Moschee
oder der St. Paul's Cathedral - oder war es Washington? - mit einem Finger in
den dicken Brei gegraben. Vor einem halben Jahr hatte das über dem Gehsteig
hängende Schild verkündet: The Wandering Snail Coffee Shop. Heute
lautete die Inschrift: Atelier Benati, goût arabe, Paris, New York, Monaco, und eine diskrete Speisenkarte an der Tür zählte die Spezialitäten des
neuen Chefs auf: Islam, Klassik und Moderne. Innenraumgestaltung. Übernahme
von Ausstattungsaufträgen. Sonnez.
    Smiley tat, wie ihm geheißen, ein
elektrischer Türöffner kreischte, die Glastür gab nach. Eine leicht
angestaubte Ladenhüterin, aschblond und halbwach, beäugte ihn argwöhnisch über
einen weißen Schreibtisch hinweg.
    »Dürfte ich mich bitte einmal
umsehen?« sagte Smiley.
    Ihre Augen hoben sich leicht zu
einem islamischen Himmel. »Die kleinen roten Punkte bedeuten verkauft«,
knautschte sie, reichte ihm eine maschinengeschriebene Preisliste, seufzte und
widmete sich wieder ihrer Zigarette und ihrem Horoskop.
    Ein paar Minuten lang schlurfte
Smiley unglücklich von einer Leinwand zur anderen, bis er aufs neue vor dem
Mädchen stand. »Könnte ich bitte Mister Benati sprechen?« sagte er.
    »Oh, Mister Benati ist im
Augenblick leider total ausgebucht. Der Nachteil, wenn man international
ist«, fügte sie mit mehr als einer Spur Sarkasmus hinzu.
    »Vielleicht könnten Sie ihm sagen,
Mr. Engel möchte ihn sprechen«, schlug Smiley mit anhaltender Schüchternheit
vor. »Wenn Sie ihm das vielleicht sagen könnten. Engel, Alan Engel, er kennt
mich nämlich.«
    Er setzte sich auf das S-förmige
Sofa. Es war mit zweitausend Pfund ausgezeichnet und mit einer schützenden
Zellophanhülle bezogen, die quietschte, wenn Smiley sich bewegte. Er hörte, wie
sie den Telefonhörer abhob und hineinseufzte.
    »Hab' einen Engel für Sie«, hauchte
sie mit Schlafzimmerstimme. »Wie im Paradies, ja, Engel?«
    Wenig später klomm Smiley eine
Wendeltreppe ins Dunkel hinab. Drunten wartete er. Es klickte, und ein halbes
Dutzend Lampen bestrahlten leere Stellen, an denen keine Bilder hingen. Eine
Tür ging auf und gab den Blick frei auf eine kleine adrette Gestalt. Der Mann
stand regungslos da. Das volle weiße Haar war flott nach hinten gekämmt. Er
trug einen pechschwarzen Anzug mit breiten Streifen, und Schnallenschuhe. Der
Streifen war entschieden zu breit für ihn. Die rechte Faust steckte in der
Jackentasche, doch als er Smiley sah, zog er die Hand heraus und hielt sie
seinem Besucher wie eine gefährliche flache Klinge hin. »Nein, Mr. Engel«, rief
er mit deutlichem mitteleuropäischen Akzent und warf rasch einen Blick
treppauf, als wolle er sehen, wer zuhörte. »Was für eine große Freude,

Weitere Kostenlose Bücher