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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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hui, Emigranten pfui.
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln«, murrte er laut.
    Es schien Smiley, als hätte er sein
ganzes Berufsleben lang nichts als derartige Absurditäten zu hören bekommen,
die angeblich einschneidende Änderungen in der Whitehall-Doktrin signalisierten;
Zurückhaltung predigten, Selbstverleugnung, immer irgendeinen Grund, um nichts
zu tun. Er hatte beobachtet, wie Whitehalls Rocksäume nach oben rutschten, dann
wieder nach unten, wie der Gürtel enger geschnallt wurde, weiter, enger. Er war
der Zeuge oder das Opfer - manchmal sogar der unfreiwillige Prophet - solch
flüchtiger Kulte gewesen wie Lateralismus, Parallelismus, Separatismus,
operative Dezentralisierung, und jetzt - wenn er Lacons jüngste Ausführungen
noch richtig im Kopf hatte - Integration. Jede neue Mode war jubelnd als Patentrezept
begrüßt worden: >Jetzt werden wir siegen, jetzt wird die Maschine
funktionieren.< Jede war sang- und klanglos untergegangen, unter
Hinterlassung des üblichen englischen Kuddelmuddels, als dessen lebenslangen
Sachwalter er sich, in der Rückschau, immer mehr sah. Er hatte Zurückhaltung
geübt, in der Hoffnung, daß andere dies auch tun würden, was dann aber nicht
der Fall war. Er hatte in den Kulissen gewerkt, während Hohlköpfe die Bühne
beherrschten, damals wie heute. Vor fünf Jahren noch hätte er sich derartige
Gefühle nie eingestanden. Aber heute sah Smiley leidenschaftslos in sein
eigenes Herz und erkannte, daß er ungeführt und vielleicht unführbar war; daß
die einzigen Forderungen, denen er sich fügte, die seines Verstandes und seiner
Menschlichkeit waren. Es war ihm mit seinem Dienst an der Öffentlichkeit so
ergangen wie mit seiner Ehe: Ich habe mein Leben in Institutionen investiert,
dachte er ohne Bitterkeit, und alles, was mir geblieben ist, bin nur ich
selbst.
    Und Karla, dachte er, mein
schwarzer Gral.
    Er konnte nichts dagegen tun, sein
schweifender Geist wollte ihn einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Er starrte
vor sich hin ins Dunkel, sah Karlas Bild vor sich, wie es in den schwebenden
Schattenflecken zerbarst und wiedererstand. Er sah, wie die braunen,
aufmerksamen Augen ihn abschätzten, so wie sie ihn damals, vor hundert Jahren,
aus der Dunkelheit der Verhörzelle eines Gefängnisses in Delhi abgeschätzt
hatten: Augen, die auf den ersten Blick Sensibilität und Kameradschaft
anzuzeigen schienen; sich dann wie schmelzendes Glas langsam zu vollkommener
Spröde und Unnachgiebigkeit verhärteten. Er sah sich auf die staubverwehte
Rollbahn des Flughafens in Delhi treten und eine Grimasse schneiden, als die
indische Hitze vom Boden zu ihm hochschlug. Smiley, alias Barraclough oder
Standfast oder welchen Namen auch immer er in jener Woche aus der Mappe
gefischt hatte - er wußte es nicht mehr.
    Auf alle Fälle ein Smiley der
sechziger Jahre, Smiley, der Handlungsreisende, wie sie ihn nannten, der im
Auftrag des Circus den Globus abgraste und umsteigwilligen Agenten aus der Moskauer
Zentrale die Vorteile eines Frontwechsels schmackhaft machte. Die Zentrale
führte damals gerade eine ihrer periodischen Säuberungsaktionen durch, und die
Wälder wimmelten von russischen Außenagenten, die sich nicht mehr nach Hause
trauten. Ein Smiley, der Anns Ehemann und Bill Haydons Kollege war und der
sich immer noch einen Rest von Illusionen bewahrt hatte. Ein Smiley, der
nichtsdestoweniger am Rand einer inneren Krise balancierte, denn es war das
Jahr, in dem Ann ihr Herz an einen Ballettänzer verlor; Bill sollte erst später
an die Reihe kommen.
    In der Dunkelheit von Anns
Schlafzimmer erlebte er wieder seine Fahrt zum Gefängnis, in einem ratternden
und tutenden Jeep, auf dessen Trittbrett lachende Kinder hingen; sah die Ochsenkarren
und das ewige, indische Menschengewimmel, die Hütten am braunen Flußufer. Er
nahm den Geruch von getrockneten Kuhfladen und ewig schwelenden Feuern wahr
-Feuer zum Kochen und Feuer zum Reinigen; Feuer zur Beseitigung der Toten. Er
sah das Eisentor des alten Gefängnisses und die perfekt gebügelten britischen
Uniformen der Wärter, als sie knietief durch die Gefangenen wateten.
    »Hier entlang, Euer Gnaden, Sir.
Wollen Eure Exzellenz bitte die Güte haben, uns zu folgen!«
    Ein europäischer Gefangener, der
sich Gerstmann nannte.
    Ein kleiner, grauhaariger und
blauäugiger Mann in einem roten Kattun-Kittel, der wie der letzte Überlebende
einer ausgestorbenen Priesterschaft aussah.
    In Handschellen: »Bitte abnehmen,
Officer, und bringen Sie

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