Carre, John le
Sir.
Haben uns viel zu lange nicht gesehen. Bitte treten Sie näher.«
Sie reichten sich die Hände, doch
jeder wahrte Distanz.
»Hallo, Mister Benati«, sagte
Smiley und folgte ihm in ein Büro, das sie durchschritten, und in einen
dahinterliegenden Raum, wo Mr. Benati die Tür schloß und sich bedächtig dagegen
lehnte, vielleicht um jedes unbefugte Eindringen zu verhindern. Danach sprach
längere Zeit keiner der beiden Männer ein Wort, dafür musterte jeder den
anderen in respektvollem Schweigen. Mr. Benatis Augen waren braun und beweglich
und blickten nirgendwo lange hin und nirgendwohin ohne bestimmten Grund. Der
Raum machte den Eindruck eines dürftigen Boudoirs, mit einer Chaiselongue und
einem rosa Waschbecken in einer Ecke. »Nun, wie geht's Geschäft, Toby?« fragte
Smiley.
Toby Esterhase reagierte auf diese
Frage mit einem besonderen Lächeln und einer besonderen Art, die kleinen
Handflächen nach oben zu drehen.
»Es floriert, George. Erfolgreicher
Start, dann fantastischer Sommer. Der Herbst, George« - wieder die Handbewegung
-, »der Herbst, würde ich sagen, ist eher schleppend. Man muß, genau gesagt,
vom eigenen Höker zehren. Kaffee, George? Meine Sekretärin kann uns Kaffee
machen.«
»Wladimir ist tot«, sagte Smiley
nach einer weiteren ziemlich langen Pause. »Erschossen, in Hampstead Heath.«
»Traurig. Der alte Mann, wie?
Traurig.«
»Oliver Lacon möchte, daß ich den
Aufwasch besorge. Da Sie der Postbote in der Gruppe waren, würde ich mich gern
mit Ihnen unterhalten.«
»Klar«, sagte Toby entgegenkommend.
»Also wußten Sie davon? Von seinem
Tod?«
»Hab's in der Zeitung gelesen.«
Smiley ließ die Blicke durch den
Raum schweifen. Nirgends war eine Zeitung zu sehen.
»Irgendeine Theorie, wer es getan
hat?« fragte Smiley.
»In seinem Alter, George?
Nach einem Leben voll Enttäuschungen, wie man wohl sagen kann? Keine Familie,
keine Zukunft, die Gruppe völlig dahin - ich vermute, er hat es selber getan.
Ganz natürlich.«
Vorsichtig ließ Smiley sich auf die
Chaiselongue nieder und nahm, scharf beobachtet von Toby, das Bronze-Modell
einer Tänzerin vom Tisch.
»Sollte dies hier nicht eine Nummer
tragen, wenn es ein Degas ist, Toby?« fragte Smiley.
»Bei Degas gibt es eine gewaltige
Grauzone, George. Da muß man schon hundertprozentig sicher sein.«
»Aber das hier ist echt?« fragte
Smiley, und es klang, als wolle er es tatsächlich wissen.
»Vollkommen«.
»Würden Sie mir die Statuette
verkaufen?«
»Was soll das?«
»Rein akademisches Interesse. Ist
sie verkäuflich? Käme ich, gegebenenfalls, als Käufer überhaupt in Betracht?«
Toby zuckte leicht verlegen die
Achseln.
»George, hören Sie, hier geht es um
Tausende, verstehen Sie? So was wie eine Jahresrente oder dergleichen.«
»Wann haben Sie eigentlich zuletzt
mit Wladimirs Netz zu tun gehabt, Toby?« fragte Smiley und stellte die Tänzerin
wieder auf den Tisch.
Toby verdaute die Frage ausgiebig.
»Netz?« echote er schließlich
ungläubig. »Habe ich >Netz< gehört, George?« Normalerweise war in Tobys
Repertoire wenig Platz für Lachen, aber jetzt brachte er doch einen kleinen,
wenn auch verkrampften Heiterkeitsausbruch zustande. »Diese Gruppe von
Verrückten nennen Sie ein Netz? Zwanzig meschuggene Balten, undicht wie alte
Scheunen, das gibt bereits ein Netz ?«
»Nun ja, irgendwie müssen wir sie
benennen«, meinte Smiley einlenkend.
»Irgendwie, klar. Bloß nicht Netz,
okay?«
»Wie lautet also die Antwort?«
»Welche Antwort?«
»Wann hatten Sie den letzten
Kontakt mit der Gruppe?«
»Jahre her. Bevor sie mich geschaßt
haben. Jahre her.«
»Wieviele Jahre.«
»Weiß ich nicht.«
»Drei?«
»Möglich.«
»Zwei?«
»George, wollen Sie mich
festnageln?«
»Sieht so aus. Ja.«
Toby nickte ernst, als habe er das
schon die ganze Zeit kommen sehen.
»Und haben Sie vergessen, George,
wie es bei unseren Lamplighters zuging? Wie überlastet wir waren? Wie meine
Jungens und ich für die Hälfte aller Netze des Circus Postboten spielten?
Erinnern Sie sich? Wieviele Treffs, wieviele Autokunden in einer Woche?
Zwanzig, dreißig? Einmal, in der Hochsaison, vierzig? Gehen Sie in die
Registratur, George. Wenn Sie Lacons Segen haben, gehen Sie in die Registratur,
holen Sie die Akte, sehen Sie sich die Treff-Formulare an. Dann wissen Sie es
genau. Kommen Sie nicht hierher und versuchen Sie nicht, mir ein Bein zu
stellen, Sie wissen, was ich meine, wie? Degas, Wladimir- ich mag diese Fragen
nicht.
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