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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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»Er ist von der Dunkelheit einfach verschluckt worden.«
    »Können Sie auf dem Turm ein Licht
sehen? Sie würden die Scheinwerfer anmachen, wenn sie etwas gehört hätten.«
    »Nein. Ich
habe nur nach Leiser Ausschau gehalten«, antwortete Avery.
    »Sie sollten ihn Mayfly nennen«,
rügte Leclerc hinter ihrem Rücken. »Jetzt kennt Johnson den Namen.«
    »Ich werde ihn vergessen, Sir.«
    »Auf jeden Fall ist er drüben«,
sagte Leclerc und ging zum Wagen.
    Sie fuhren
schweigend zurück. Während sie auf das Haus zugingen, spürte Avery einen
freundschaftlichen Klaps auf seiner Schulter und erwartete, beim Zurückblicken
in Johnsons Gesicht zu sehen. Statt dessen aber blickte er in das ausgezehrte
Gesicht Haldanes, das aber so verändert wirkte, so merklich entspannt, daß es
die jugendliche Ruhe eines Mannes widerzuspiegeln schien, der soeben eine
lange Krankheit überwunden hatte. Der letzte Schmerz war von ihm gewichen. »Ich
halte nicht viel von großen Lobreden«, sagte Haldane.
    »Glauben Sie, daß er gut
hinübergekommen ist?«
    »Sie haben gut gearbeitet.«
Haldane lächelte. »Wir hätten etwas gehört, nicht wahr? Die Schüsse. Oder wir
hätten zumindest die Scheinwerfer gesehen.«
    »Er ist
jetzt unserer Fürsorge entzogen. Gut gemacht.« Er gähnte. »Ich schlage vor,
früh zu Bett zu gehen. Wir haben jetzt nichts mehr zu tun. Nur bis morgen
abend, natürlich.« An der Tür blieb er stehen, und ohne den Kopf zu wenden,
sagte er: »Wissen Sie, es kommt einem so unwirklich vor. Im Krieg, da war es
keine Frage. Sie gingen oder sie weigerten sich. Warum ging er, Avery? Jane
Austen sagte: Geld oder Liebe, das seien die zwei einzigen Dinge in der Welt.
Leiser ging nicht um des Geldes willen.«
    »Sie
meinten, man könne das nie so genau wissen.
    Das sagten
Sie an dem Abend, als er anrief.«
    »Er
erklärte mir, er gehe aus Haß. Aus Haß gegen die Deutschen. Das habe ich ihm
nicht geglaubt.«
    »So oder
so; er ist gegangen. Ich dachte, das sei das einzige, worauf es Ihnen ankommt.
Sie sagten einmal, daß Sie Motiven mißtrauen.«
    »Haß wäre
für ihn kein Grund, eine derartige Arbeit zu übernehmen. Das ist uns ja wohl
klar. Was für ein Mensch ist er eigentlich? Wir haben ihn nicht wirklich
kennengelernt, oder? Für ihn kann jetzt jeden Augenblick alles vorbei sein -
womit beschäftigen sich in dieser Lage seine Gedanken? Wenn er jetzt sterben
sollte, heute nacht - woran wird er denken?«
    »So etwas
sollten Sie nicht aussprechen.«
    »Ach.«
Endlich wandte er sich nun doch zu Avery. Der friedliche Ausdruck war nicht von
seinem Gesicht gewichen. »Als wir das erstemal mit ihm zusammenkamen, war er
ein Mensch ohne Liebe. Wissen Sie, was Liebe ist? Ich werd's Ihnen sagen: sie
ist all das, was man noch immer verraten kann. Was uns anbelangt, so leben wir
ohne sie in unserem Beruf. Wir zwingen niemanden, für uns zu arbeiten. Wir
lassen die Leute nur die Liebe entdecken. Natürlich hat Leiser das getan, oder
nicht? Er hat uns sozusagen wegen des Geldes geheiratet und aus Liebe
verlassen. Er leistete den zweiten Schwur. Ich frage mich nur, wann das war.«
    »Wie
meinen Sie das: wegen des Geldes?« sagte Avery schnell.
    »Ich
meine, was immer wir ihm gegeben haben, er jedenfalls hat uns Liebe gegeben.
Ich sehe da gerade zufällig, daß Sie seine Uhr tragen.«
    »Ich
bewahre sie nur für ihn auf.«
    »Ach so.
Gute Nacht. Oder guten Morgen, eigentlich.«
    Ein
kleines Lachen. »Wie schnell man doch jeden Sinn für Zeit verliert.« Dann
bemerkte er, mehr zu sich selbst: »Und das Rondell hat uns die ganze Zeit geholfen.
Sehr seltsam. Ich frage mich, warum.« Sorgfältig reinigte Leiser sein Messer.
Es war schmutzig und mußte gewaschen werden. Im Bootshaus aß er seinen
Proviant und trank den Cognac aus der Flasche. »Danach«, hatte Haldane gesagt,
»müssen Sie sich aus dem Land versorgen. Sie können nicht mit Fleischkonserven
und französischem Cognac umherlaufen.« Er öffnete die Tür und ging hinaus, um
sich Gesicht und Hände im See zu waschen. Die Wasserfläche lag unbewegt in der
Dunkelheit. Ihr glatter Spiegel war wie eine makellose Haut, die schwebende
graue Nebelschleier bedeckten. Er konnte das am Ufer wachsende Schilf
erkennen, das leise von dem über die Wasserfläche streichenden, vor der Morgendämmerung
fliehenden Wind berührt wurde. Jenseits des Sees hingegen hingen schattenhaft
die Umrisse einer niedrigen Hügelkette. Er fühlte sich erholt und ruhig. Bis
ihm, wie ein Schauder, der Gedanke an

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