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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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ausgestreckt, als er sich nun zu Haldane wandte. »Sie wissen
gar nicht, was Sie da tun!«
    Leclerc
hatte den Lärm gehört und stand in der Tür. Haldanes Gesicht war ausdruckslos
wie ein Fels. Leiser hätte es mit nackten Fäusten schlagen können, ohne einen
Kern von Erbarmen bloßzulegen. Seine Stimme sank zu einem Flüstern. »Was tun
Sie? Guter Gott, was versuchen Sie da zu tun?« Plötzlich über alles im klaren,
schrie er beide an: »Ihr haßt mich, jawohl! Was habe ich euch getan? John, was
habe ich getan? Wir waren doch Kameraden, nicht?« Als Leclerc schließlich
sprach, klang seine Stimme unbeteiligt und kühl, als wolle er betonen, daß zwischen
ihnen Welten lagen. »Worum geht es hier?«
    »Er macht
sich wegen der Pistole Sorgen«, erklärte Haldane.
    »Daran können wir leider nichts
ändern. Das liegt nicht in unseren Händen. Sie wissen, Fred, wie uns zumute
ist. Natürlich wissen Sie das. Wir haben einen Befehl. Da kann man nichts
machen. Haben Sie vergessen, wie es früher gewesen ist?« Und steif, ein Mann
voll Pflichtbewußtsein und Entschlossenheit, fügte er hinzu: »Über die mir
erteilten Befehle kann ich nicht diskutieren. Was soll ich Ihnen also sagen?«
Leiser schüttelte den Kopf. Seine Hände sanken herab. Die Disziplin war von
ihm abgefallen. »Schon vorbei.« Er sah Avery an. »In gewisser Weise ist ein
Messer sogar nützlicher, Fred«, sagte Leclerc tröstend. »Es macht keinen Lärm.«
    »Ja.«
    Haldane
sammelte Leisers übrige Kleidungsstücke zusammen. »Ich muß sie in den Rucksack
packen«, sagte er mit einem Seitenblick zu Avery und verließ schnell den Raum.
Leclerc nahm er mit. Leiser und Avery sahen einander schweigend an. Avery
schämte sich, Leiser so häßlich zu sehen. Schließlich sagte Leiser: »Es gab nur
uns drei: den Captain, Sie und mich - das war fein damals.
    Kümmern Sie sich nicht um die
anderen, John. Die sind ganz unwichtig.«
    »Das stimmt, Fred.«
    Leiser
lächelte. »Diese Woche, John - das war prima. Komisch, nicht wahr: die ganze
Zeit laufen wir den Mädchen nach, aber wirklich zählen, das tun die Männer,
nur die Männer.«
    »Sie gehören zu uns, Fred. Haben
immer dazugehört. All die Jahre war Ihre Karte da, die ganze Zeit gehörten Sie
zu uns. Wir vergessen das nicht.«
    »Wie sieht sie aus?«
    »Es sind
zwei zusammengeheftete Blätter, eines für damals, eins für jetzt. Sie stehen in
dem Kasten - wir nennen es >Agenten im Einsatz<. Ihr Name ist der erste.
Sie sind unser bester Mann.« Er konnte es sich jetzt richtiggehend vorstellen.
Diese Kartei war etwas, das sie gemeinsam geschaffen hatten, und er konnte an
sie glauben wie an die Liebe. »Sie sagten aber, es sei alphabetisch geordnet«,
sagte Leiser scharf. »Sie sagten, es gebe für die besten eine Spezialkartei.«
    »Die Großen Tiere werden vorn
eingestellt.«
    »Und ihr habt eure Männer überall
in der Welt?«
    »Überall!«
    Leiser
runzelte nachdenklich die Stirn, als müsse er eine nur ihn allein angehende
Frage entscheiden. Langsam ließ er seinen Blick durch das kahle Zimmer
schweifen, dann sah er auf seine groben Jackenärmel hinunter und schließlich zu
Avery, auf dem er seine Augen scheinbar endlos ruhen ließ, bis er endlich sein Handgelenk
faßte - ganz leicht nur, mehr um zu fühlen, als um zu führen - und mit
angehaltenem Atem sagte: »Gib mir etwas. Gib mir was, das ich mitnehmen kann.
Etwas von dir, irgendwas.« Avery grub in seinen Taschen, aus denen er ein Taschentuch,
Kleingeld und ein Stück zusammengefalteten dünnen Karton hervorkramte. Er
klappte den Karton auseinander; es war das Foto von Taylors kleiner Tochter.
    »Ist das
dein Kind?« Leiser blickte über Averys Schulter auf das kleine bebrillte
Gesicht hinunter. Seine Hand schloß sich um die Averys. »Das möchte ich.« Avery
nickte. Leiser steckte das Bild in seine Brieftasche. Dann nahm er seine Uhr
vom Tisch. Sie war aus Gold und hatte ein schwarzes Zifferblatt, das auch die
Mondphasen anzeigte. »Nimm du sie«, sagte er. »Behalte sie.« Dann fuhr er
fort: »Ich habe dauernd versucht, mich wieder an zu Hause zu erinnern. Wir hatten
eine Schule: mit einem riesigen Hof wie in einer Kaserne, nichts als Fenster
und Regenrinnen. Nach dem Essen haben wir dort immer Ball gespielt. - Da war
ein Tor und dahinter der Weg zur Kirche, dahinter der Fluß.« Er beschrieb die
Stadt mit seinen Händen, als lege er Ziegelsteine aufeinander. »Sonntags
gingen wir immer hin, durch die Seitentür, die Kinder zuletzt, weißt

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