Carre, John le
Durchschlag des Inventars
heraus, das er auf der Polizei unterschrieben hatte, breitete es vor sich aus
und ließ seinen Finger am linken Rand des Blattes herunterwandern. Er tat es
voll Argwohn, als prüfe er die von einem anderen aufgestellte Rechnung.
»Hier ist
kein Film verzeichnet. War auch eine Kamera da?«
»Nein.«
»Ah!«
Er brachte
Avery zur Tür. »Übrigens sollten Sie Ihrem Auftraggeber bestellen, daß
Malherbes Paß ungültig war. Das Auswärtige Amt hat ein Rundschreiben mit etwa
zwanzig Nummern herausgegeben. Der Paß Ihres Bruders war darunter. Es muß da
eine Panne passiert sein. Ich wollte es gerade nach London berichten, als das
Fernschreiben des Auswärtigen Amtes kam, in dem Sie bevollmächtigt werden,
Malherbes Sachen in Empfang zu nehmen.« Er lachte kurz auf. Er war sehr
ärgerlich. »Das war Quatsch, natürlich. Von sich aus hätte das Amt niemals
diese Vollmacht geschickt. Sie haben gar nicht das Recht dazu, es sei denn, Sie
hätten einen entsprechenden Bescheid der Verwaltungsbehörde, und den konnten
Sie unmöglich mitten in der Nacht besorgt haben. Haben Sie schon eine
Unterkunft? Das >Regina< ist ganz passabel, es liegt gleich am Flughafen.
Außerdem ist es außerhalb der Stadt. Ich nehme an, daß Sie selbst dorthin
finden werden. Soviel ich weiß, bekommt ihr Leute großartige Diäten.«
Avery
beeilte sich, das Gartentor zu erreichen, während sich seiner Erinnerung
unauslöschlich das Bild von Sutherlands magerem, bitterem Gesicht einprägte,
das sich ärgerlich von den schottischen Hügeln abhob. Die Holzhäuser an der
Straße schienen in der Dunkelheit fast weiß, wie um einen Operationstisch
versammelte Schatten.
Irgendwo
unweit von Charing Cross befindet sich im Souterrain eines jener zwischen
Villiers Street und der Themse liegenden erstaunlichen Häuser aus dem 18.
Jahrhundert ein Club, an dessen Tür kein Name steht. Man erreicht ihn über eine
gewundene Steintreppe. Das Geländer ist mit der gleichen grünen Farbe wie die
Türen in der Blackfriars Road gestrichen und müßte eigentlich durch ein neues
ersetzt werden. Die Mitglieder des Clubs sind eine seltsame Auslese. Einige
sind beim Militär, andere haben den Beruf eines Lehrers, wieder andere sind
Büromenschen. Manche stammen aus dem Niemandsland der Londoner Gesellschaft,
das irgendwo zwischen dem Buchmacher und dem Gentleman liegt. Den Leuten ihrer
Umgebung - und vielleicht sogar sich selbst - vermitteln sie den Eindruck eines
gedankenlosen Mutes. Ihre Unterhaltung besteht aus Abkürzungen und Sätzen, die
sich ein Mensch mit Sprachgefühl nur aus der Ferne anhören kann. Es ist ein
Treffpunkt der alten Gesichter und der jungen Körper, der jungen Gesichter und
der alten Körper. Hier haben sich die Spannungen des Krieges in Spannungen des
Friedens verwandelt - ein Ort, an dem man gegen die Stille die Stimmen, gegen
die Einsamkeit aber die Gläser erhebt. Es ist der Treffpunkt der Suchenden,
die doch hier nichts anderes finden als ihresgleichen und die Wohltat geteilten
Schmerzes. Hier haben die müden, wachsamen Augen keinen Horizont zu beobachten.
Es ist noch immer ihr Schlachtfeld. Wenn es noch Liebe gibt, so finden sie sie
hier unter sich, scheu wie Heranwachsende, und mit dem ständigen Gedanken an
andere Menschen in ihrem Bewußtsein. Es fehlt aus der Kriegszeit niemand - bis
auf die wichtigen Leute.
Es ist ein
kleines Lokal, das von einem mageren, trockenen Mann geführt wird, der auf den
Namen Major Dell hört. Er hat einen Schnurrbart und trägt eine Krawatte mit
blauen Engeln auf schwarzem Grund. Nach dem ersten Schnaps auf seine Rechnung
werden ihm die anderen von seinen Gästen bezahlt. Das Lokal heißt Alias-Club,
und Woodford war Mitglied. Der Club hat abends geöffnet. Die Gäste kommen gegen
sechs, sie lösen sich aus der vorbeidrängenden Menge - verstohlen, aber
zielsicher, wie Besucher vom Land, die in ein anrüchiges Variete streben. Zuerst
fallen einem alle jene Dinge auf, die in diesem Club fehlen: keine Silberpokale
hinter der Bar, kein Gästebuch am Eingang und keine Mitgliedsliste, keine
Emblemes, keine Titel. An den weißgekalkten Wänden hängen nur einige Fotos in
den Wechselrahmen, wie die Bilder in Leclercs Büro. Die Gesichter darauf sind
unscharf, einige offenbar von einem Paßbild vergrößert, das von vorne
aufgenommen worden war, so daß der Vorschrift entsprechend beide Ohren sichtbar
blieben. Es gibt auch die Bilder von Frauen, einige von ihnen sogar attraktiv,
trotz ihrer
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