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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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gemacht.«
    »In Ordnung.«
    Er hatte
erwartet, in dieser Nacht tief zu schlafen, aber nach einer Zeitspanne, die ihm
wie eine Stunde schien, fuhr er hellwach und gespannt aus dem Schlaf. Er sah
auf seine Uhr. Es war zehn nach eins. Nachdem er aus dem Bett gestiegen war,
ging er zum Fenster und blickte auf die schneebedeckte Landschaft hinaus,
durch die sich als dunkles Band die zum Flughafen führende Straße zog. Er
glaubte, die kleine Erhebung sehen zu können, auf der Taylor gestorben war.
    Er war
verzweifelt und voll Angst. Verworrene Bilder drängten sich ihm auf: Taylors
schreckliches Gesicht, das er fast hätte betrachten müssen, blutüberströmt und
mit weit aufgerissenen Augen, als wolle er eine entscheidende Entdeckung
mitteilen, dazwischen Leclercs von leicht verletzlichem Optimismus erfüllte
Stimme, der dicke Polizist, der ihn mißgünstig anstarrte, als sei er ein
Gegenstand, den zu kaufen er sich nicht leisten konnte. Avery mußte erkennen,
daß er kein Mensch war, der mit dem Alleinsein leicht fertig wurde. Es machte
ihn traurig und sentimental. Er ertappte sich dabei, daß er zum erstenmal seit
heute morgen, als er seine Wohnung verlassen hatte, an Sarah und Anthony
dachte. Während er an seinen Jungen, die kleine Stahlbrille auf seiner Nase
dachte, stiegen ihm plötzlich Tränen in die Augen, und er sehnte sich danach,
seine Stimme zu hören, er sehnte sich nach Sarah und der vertrauten Umgebung
seiner Wohnung. Vielleicht sollte er anrufen, mit ihrer Mutter sprechen, sich
nach ihr erkundigen? Aber was, wenn sie wirklich ernsthaft krank war? Er hatte
an diesem Tag schon genug gelitten, genügend Energie und Erfindungskraft
aufgewendet, sich genug gefürchtet. Er war durch einen Alptraum gegangen, und
man konnte von ihm nicht erwarten, daß er sie jetzt anrief. Er ging zurück in
sein Bett.
    So sehr er
sich mühte - er fand keinen Schlaf. Seine Augenlider waren heiß und schwer,
sein Körper erschöpft, und dennoch konnte er nicht schlafen. Draußen kam Wind
auf und rüttelte an den Doppelfenstern. Einmal war ihm zu heiß, dann wieder zu
kalt. Dann fiel er in eine Art Halbschlaf, nur um sofort wieder aus seiner
unangenehmen Ruhe durch ein Weinen aufgeschreckt zu werden, das aus dem
Nebenzimmer gekommen sein konnte, oder aber auch von Anthony, und ebensogut
mochte das Geräusch, das er nicht genau gehört hatte und an das er sich jetzt
im wachen Zustand nur undeutlich erinnern konnte, das metallische Schluchzen
einer sprechenden Puppe gewesen sein.
    Und
einmal, es war kurz vor Anbruch der Dämmerung, hörte er vor seinem Zimmer einen
Tritt, es war nur ein einzelner Schritt, draußen im Flur, und dieses Geräusch war
sicher nicht eingebildet, sondern ganz wirklich, so daß er in eisigem Schrecken
dalag und darauf wartete, daß sich die Klinke an seiner Tür bewegte oder daß
die Männer Inspektor Peersens klopften. Er lauschte angespannt und hätte
schwören können, daß er ein feines Knistern wahrnehmen konnte, wie von Stoff,
dann ein unterdrücktes Atemgeräusch gleich einem winzigen Seufzer. Stille.
Obwohl er noch endlose Minuten lang lauschte, hörte er nichts mehr.
    Er knipste
das Licht an, ging zum Stuhl hinüber, um seinen Füller zu holen. Er fand ihn
schließlich beim Waschbecken. Aus der Aktentasche holte er eine lederne
Schreibmappe, die ihm Sarah geschenkt hatte. Er ließ sich an dem wackligen
Tischchen vor dem Fenster nieder und begann einen Liebesbrief zu schreiben. Er
schrieb an irgendein Mädchen. Es hätte vielleicht Carol sein können. Als
schließlich der Tag anbrach, zerriß er ihn wieder in kleine Schnitzel, die er
in der Toilette hinunterspülte.
     
    Dabei fiel
sein Blick auf etwas Weißes, das auf dem Boden lag. Es war ein Foto von Taylors
Kind. Das Mädchen hielt eine Puppe im Arm und hatte eine Brille auf, die
gleiche Art Brillen, die auch Anthony trag. Das Bild mußte zwischen seinen
Papieren gelegen haben. Er wollte es vernichten, aber irgendwie brachte er das
nicht übers Herz. Er steckte es in die Tasche.
     
    9. Kapitel
     
      HEIMKEHR
     
    Wie Avery
erwartet hatte, entdeckte er Leclerc in Heathrow unter den Wartenden; er stand
auf den Zehenspitzen und spähte unruhig nach ihm aus. Er hatte die Zollbeamten
irgendwie bestochen oder mußte das Ministerium dazu bewogen haben, ihm eine
besondere Behandlung zu verschaffen, denn als er Avery erblickte, betrat er
die Halle und bahnte Avery selbstsicher den Weg, als sei er es gewohnt, von
Formalitäten verschont zu bleiben.

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