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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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weiß, ja. Warum fragen Sie?« Dann setzte Leclerc liebenswürdig fort: »Froh,
wieder zurück zu sein, John?«
    »Ja,
natürlich.«
    Er ließ
sich in die Polster des Wagens zurücksinken. Da Leclerc seine Feindseligkeit
spürte, ließ er ihn eine Weile in Ruhe. Avery wandte seine Aufmerksamkeit der
Straße und den stattlich aussehenden rosa Villen zu, an denen sie im leichten
Regen vorüberfuhren. Leclerc begann wieder zu sprechen, jetzt mit seiner
amtlichen Stimme. »Ich möchte, daß Sie gleich anfangen. Morgen, wenn es Ihnen
möglich ist. Wir haben Ihr Zimmer hergerichtet. Es gibt eine Menge zu tun. Was
diesen Mann betrifft: Haldane hat ihn schon in der Mache. Wir werden
wahrscheinlich mehr darüber erfahren, sobald wir ins Amt kommen. Von jetzt an
sind Sie Adrians Geschöpf. Ich glaube, das sagt Ihnen zu. Unsere Oberen haben
eingewilligt, Ihnen einen Sonderausweis vom Ministerium zur Verfügung zu
stellen. Das gleiche Ding, das sie im Rondell haben.« Avery kannte Leclercs Art
zu erzählen: es gab Zeiten, da beschränkte er sich völlig auf dunkle
Andeutungen, indem er nur Rohmaterial lieferte, das der Verbraucher und nicht
der Lieferant auswerten mußte. »Ich möchte mit Ihnen über die ganze Sache
reden. Nachdem ich Sarah angerufen habe.«
    »Ist in Ordnung«,
entgegnete Leclerc freundlich, »kommen Sie und erzählen Sie mir davon. Warum
nicht gleich jetzt?« Er wandte Avery voll sein Gesicht zu - ein Ding ohne
Tiefe, ein einseitiger Mond. »Sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte er
großherzig, »ich hoffe, Sie machen so weiter.« Sie hatten die Stadtgrenze von
London erreicht. »Wir bekommen vom Rondell etwas Hilfe«, fügte er hinzu. »Man
scheint dort ziemlich willig zu sein. Natürlich sind sie nicht ganz im Bild.
Darauf hat der Minister großen Wert gelegt.«
    Sie fuhren
die Lambeth Road hinunter, in der der Kriegsgott residiert. Am einen Ende das
Kriegsmuseum, am anderen Ende Schulen und dazwischen Krankenhäuser und ein
Friedhof mit seiner an einen Tennisplatz erinnernden Umzäunung. Niemand weiß,
wer in dieser Straße lebt. Im Vergleich zu der Zahl der Menschen, die man
sieht, gibt es zu viele Häuser, die Schulen scheinen zu groß für die wenigen
Kinder. Die Spitäler mögen vielleicht voll besetzt sein, aber die Jalousien
sind heruntergezogen. Über allem liegt Staub, wie der Staub des Krieges. Er
liegt auf den ausdruckslosen Fassaden, er erstickt das Gras auf den Gräbern: er
hat die Menschen vertrieben, mit Ausnahme jener wenigen, die in dunklen Ecken
wie die Geister von Gefallenen herumlungern oder schlaflos hinter gelb
erleuchteten Fenstern warten. Es ist eine Straße, die den Eindruck macht, als
wären ihr die Menschen häufig entflohen. Die wenigen, die zurückgekehrt sind,
haben offenbar alle irgend etwas von ihren Reisen aus der lebendigen Welt
mitgebracht: einer das Stück eines Feldes, ein anderer die zerfallende
Terrasse im Regency-Stil, einen Schuppen oder Lagerhaus. Oder eine Kneipe, die
>Blumen des Waldes< heißt.
    Es ist
eine Straße voller vertrauenswürdiger Unternehmen. Eines steht unter der
Schirmherrschaft Unserer trostreichen Jungfrau, das andere unter der des
Erzbischofs Amigo. Was weder Krankenhaus, Schule, Kneipe oder Seminar ist,
scheint leblos unter dem allmächtigen, alles bedeckenden Staub. Es gibt ein
Spielwarengeschäft, vor dessen Tür ein seit langem unberührtes Vorhängschloß
hängt. Avery blickte jeden Tag auf seinem Weg ins Büro hinein: auf den Regalen
verrostete das Spielzeug. Die Fensterscheiben waren blind vom Schmutz, und ihr
unterer Rand hatte Streifen, Abdrücke von Kinderhänden. Es gibt auch ein
Geschäft, wo man auf die Reparatur seines Gebisses warten kann. Avery
betrachtete all dies durch die Scheiben des vorbeifahrenden Autos und hakte ein
Objekt nach dem anderen auf der Liste seines Gedächtnisses ab, wobei er sich
fragte, ob er diese Parade noch einmal würde abnehmen können, solange er noch
Mitglied der Organisation war. Sie kamen an Lagerhäusern vorbei, über deren
Tore Stacheldraht gespannt war, und an Fabriken, die nichts produzierten. In
einer von ihnen läutete gerade eine Glocke, die aber niemand hörte. Dann kam
eine verfallene Mauer mit Plakatanschlägen. »Heute bist du jemand in der
Armee.« Sie verließen den Kreisverkehr des St. George's Circus und bogen
schließlich in die Blackfriars Road ein.
    Als sie
sich dem Haus näherten, fühlte Avery, daß sich etwas verändert hatte. Einen
Augenblick schien es ihm, als sei das bißchen

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