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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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zu.« Der Lärm ebbte ab. Woodford war eine Realität. Er machte diese
Arbeit noch immer.
    »Es gab da
mal einen Spezialisten für unbewaffneten Nahkampf, ein Unteroffizier, Waliser.
Er war ziemlich klein.«
    »Klingt nach Sandy Low«, schlug
der Blühende vor. »Genau, das ist Sandy!« Alle drehten sich bewundernd zu dem
Blühenden. »Klar! Ein Waliser. Wir nannten ihn Randy Sandy.«
    »Natürlich«,
sagte Woodford zufrieden. »Na, und ging er nicht als Boxlehrer zu irgendeinem
Internat?« Er betrachtete die anderen mit zusammengekniffenen Lidern. Er mußte
ja viel verschweigen, das Ganze sehr vorsichtig durchspielen, weil es so streng
geheim war.
    »Genau, das ist er. Das ist
Sandy!« Woodford schrieb sich den Namen auf, denn er war durch die Erfahrung
vorsichtig geworden, daß er gerne Dinge vergaß, die er seinem Gedächtnis
anvertraut hatte.
    Als er
sich zum Gehen anschickte, fragte der Major: »Und was macht Clarkie?«
    »Arbeitet«,
sagte Woodford. »Schuftet sich zu Tode, wie immer.«
    »Die Jungs
reden viel über ihn, weißt du. Warum kommt er nicht ab und zu einmal her? Sie
würden sich irrsinnig freuen, es würde ihnen Auftrieb geben.«
    »Sag mal«,
sie waren schon an der Tür, »erinnerst du dich an einen Kerl namens Leiser?
Fred Leiser, ein Pole.
    Er war bei unserem Haufen. War bei
dem Auftritt in Holland dabei.«
    »Er lebt noch?«
    »Ja.«
    »Tut mit
leid«, sagte der Major unbestimmt, »aber die Ausländer haben aufgehört, zu mir
zu kommen. Weiß auch nicht, warum. Wir haben uns hier nie Gedanken darüber
gemacht.«
    Woodford
schloß die Tür hinter sich und trat in die Londoner Nacht hinaus. Er sah sich
verliebt um - die mütterliche Stadt, die seiner rauhen Obsorge überlassen war.
Er schritt langsam aus - wie ein alt gewordener Turner auf seinem alten
Sportplatz.
     
    8. Kapitel
     
    Avery, im
Gegensatz dazu, ging schnell. Er hatte Angst. Keine Frucht ist so schrecklich
und gleichzeitig so schwer zu beschreiben wie die, die einen Spion in fremdem
Land befallen kann. Der Blick eines Taxifahrers, das Gedränge der Menschen,
die Vielfalt der Uniformen - war das gerade ein Postbote oder war es ein
Polizist? -, die unbekannten Sitten, die fremde Sprache, die fremdartigen
Geräusche, kurz all das, was die neue Welt ausmachte, in die Avery plötzlich
geraten war, erzeugte in ihm einen Zustand der fortwährenden Angst, die sich
wie ein Nervenschmerz jetzt, da Avery allein und müde war, besonders bösartig
bemerkbar machte. Innerhalb weniger Augenblicke schwankte seine Stimmung
zwischen Panik und einer kriecherischen Unterwürfigkeit, die ihn auf unnatürliche
Weise dankbar sein ließ für ein freundliches Wort oder auch nur einen
wohlwollenden Blick. Er empfand eine entwürdigende Abhängigkeit von jenen, die
er gerade zu hintergehen im Begriff war. Avery wünschte nichts sehnlicher, als
von den gleichgültigen Gesichtern um ihn her die Absolution eines
vertrauensvollen Lächelns zu erhalten. Es war ihm keine Hilfe, daß er sich
immer wieder sagte: du fügst ihnen ja gar keinen Schaden zu, du bist doch ihr
Beschützer. Er bewegte sich zwischen ihnen wie ein Gejagter auf der Suche nach
Ruhe und Nahrung.
    Er fuhr
mit dem Taxi ins Hotel und bat um ein Zimmer mit Bad. Man reichte ihm das
Meldebuch zur Unterschrift. Er hatte bereits seinen Füller auf das Papier
gesetzt, als er, nur zehn Zeilen höher, in mühsamer Schrift den Namen Malherbe
verzeichnet sah. Der Namenszug war in der Mitte unterbrochen, als habe ihn sein
Schreiber nicht recht buchstabieren können.
    Sein Auge
folgte der Eintragung in dieser Zeile: Adresse, London - Beruf, Major a. D.
Bestimmungsort, London. Sein letztes Vergnügen, dachte Avery, waren also ein
falscher Beruf und ein falscher Grad gewesen, aber sie hatten dem unbedeutenden
Engländer Taylor noch einen Augenblick das Gefühl des Ruhmes verschafft. Warum
nicht Oberst? Warum nicht Admiral? Warum hatte er sich nicht selbst geadelt
und eine Adresse in der Park Lane verschafft? Selbst noch im Zustand des
Träumens hatte Taylor seine Grenzen erkannt.
    Der
Portier sagte: »Der Diener wird Ihr Gepäck bringen.«
    »Verzeihung«,
sagte Avery - eine sinnlose Bemerkung des Bedauerns - und schrieb seinen
Namen, wobei ihm der Portier eigenartig aufmerksam zusah. Er gab dem Diener
eine Münze und hatte im selben Augenblick das Gefühl, daß er ihm zu viel
gegeben habe. Er schloß die Tür seines Zimmers und blieb einige Zeit auf
seinem Bett sitzen. Der Raum war durchdacht angelegt, aber er

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