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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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wirkte kalt und
unpersönlich. An der Tür hing ein mehrsprachiger Hinweis, daß das Hotel für
Wertgegenstände nur haften könne, wenn sie beim Portier hinterlegt seien, und
neben dem Bett warnte ein zweiter Aushang vor den finanziellen Nachteilen, die
es für den Gast bedeuten würde, wenn er das Frühstück nicht im Hause einnahm.
Auf dem Schreibpult lag eine Reisezeitschrift und daneben eine schwarz
gebundene Bibel. Es gab ein ungemein sauberes und sehr kleines Badezimmer und
einen eingebauten Schrank, in dem ein Kleiderbügel hing. Er hatte vergessen,
ein Buch mitzunehmen. Er hatte keineswegs erwartet, daß er gegen Langeweile zu
kämpfen haben würde.
    Ihm war
kalt und er hatte Hunger. Er wollte baden. Er drehte das Wasser auf und begann
sich auszuziehen.
    Er war
schon dabei, ins Wasser zu steigen, als er sich an Taylors Briefe in seiner
Tasche erinnerte. Er zog seinen Bademantel an, setzte sich aufs Bett und begann,
sie zu lesen. Einer war von der Bank und bezog sich auf eine Überziehung des
Kontos, einer war von Taylors Mutter, einer von einem Freund - er begann
>Lieber alter Wilf< - und die übrigen waren von einer Frau. Diese Briefe
waren gefährlich. Sie stellten ein Sicherheitsrisiko dar. Derartige Briefe könnten
ihn leicht kompromittieren. Er entschloß sich, sie alle zu verbrennen. Im
Zimmer gab es noch ein Waschbecken. Er legte die Briefe hinein und hielt ein
Streichholz an sie. Irgendwo hatte er gelesen, daß man das so machte. Da war
auch noch eine Mitgliedskarte des Alias-Clubs, ausgestellt auf den Namen
Taylor, und er verbrannte auch sie, zerdrückte dann die verkohlten Reste im
Becken und drehte das Wasser auf. Es stieg schnell. Das Becken hatte keinen
Stöpsel, sondern einen eingebauten Metallmechanismus, der mit einem Hebel
zwischen den Hähnen bedient wurde. In diesem Mechanismus hatte sich die nasse
Asche festgesetzt: Der Abfluß des Beckens war verstopft. Er sah sich nach einem
Gegenstand um, mit dem er unter den beweglichen Metallverschluß in das Abflußrohr
hätte stochern können. Er versuchte es mit seinem Füller, aber der war zu
dick, also holte er seine Nagelfeile. Mehrmalige Versuche brachten die Asche
schließlich in das Rohr. Das Wasser floß ab und ließ einen dunkelbraunen Fleck
auf dem weißen Boden des Porzellanbeckens sichtbar werden. Er rieb den Fleck,
zuerst mit der Hand, dann mit der Nagelbürste, aber er wollte nicht
verschwinden. Die Glasur konnte sich nicht so verfärben. Es mußte irgendeine
Substanz aus dem Papier sein, vielleicht war es Teer. Er ging ins Bad und sah
sich vergebens nach einem Putzmittel um.
    Als er ins
Zimmer zurückkam, bemerkte er, daß es mit dem Geruch verkohlten Papiers erfüllt
war. Er ging schnell zum Fenster und öffnete es. Ein eisiger Windstoß fuhr
gegen seine nackten Beine. Er zog gerade den Bademantel fester um sich herum,
als es an der Tür klopfte. Er starrte von Furcht gelähmt auf die Tür, hörte es
wieder klopfen, rief schließlich >Ja< und sah, wie sich die Klinke
bewegte. Es war der Mann von der Rezeption. »Mr. Avery?«
    »Ja?«
    »Verzeihung.
Wir brauchen Ihren Paß. Für die Polizei.«
    »Polizei!«
    »Es ist
hier so üblich.«
    Avery hatte sich vor das
Waschbecken gestellt. Die Vorhänge flatterten wild vor dem geöffneten Fenster.
»Darf ich das Fenster schließen?« fragte der Mann. »Mir war nicht gut. Ich
wollte ein bißchen frische Luft herein lassen.«
    Er fand
seinen Paß und gab ihn dem Mann, der - wie Avery bemerkte - auf das Waschbecken
starrte, auf den braunen Fleck und die kleinen schwarzen Flocken, die im Becken
zurückgeblieben waren. Sehnlicher als je zuvor wünschte er, wieder daheim in
England zu sein.
    Die Villen
längs der Western Avenue wirken wie eine Reihe rosafarbener Gräber auf einem
grauen Feld, ein steingewordenes Bild beginnenden Alters. Einförmigkeit ist
die Folge widerspruchslosen Alterns, des sanften Sterbens und des erfolglosen
Lebens. Diese Villen sind Häuser, denen es besser geht als ihren Bewohnern:
sie tauschen sie nach Belieben aus, ohne sich selbst zu ändern. Möbelwagen
gleiten respektvoll wie Leichenwagen zwischen ihnen hindurch, um diskret die
Toten abzuholen und die Lebenden zu liefern.
    Manchmal
wird einer der Besitzer seine Hand rühren, um einige Töpfe Farbe auf Balken und
Türen zu verteilen oder den Garten zu verschönern, aber seine Anstrengungen
verändern das Haus nicht mehr, als ein Strauß Blumen das Krankenzimmer in einer
Klinik verändert. Und das Gras wird auch in

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