Carre, John le
Beispiel ging man in das Pub im
Tudorstil in dem unfertigen Hochhaus, wo echte, säuerlich blickende englische
Landmädchen im Dekollete der Zeit echtes englisches Bier, zwanzig Grad unter
der englischen Temperatur, servierten, während draußen in der Halle schwitzende
Kulis mit gelben Helmen rund um die Uhr schufteten, um die Aufzüge
betriebsfertig zu machen. Oder man kann in die italienische taverna gehen, wo eine gußeiserne Wendeltreppe zu Julias
Balkon zu führen scheint und statt dessen in einem weißen Gipsplafond endet;
oder in den schottischen Gasthof mit chinesischen Schotten im Kilt, die
gelegentlich rebellierten, wenn die Hitze zu groß war oder die Fahrpreise auf
der Star Ferry erhöht wurden. Craw hatte sogar einen Opiumsalon besucht, mit
Klimaanlage und einer Musikbox, die Greensleeves orgelte. Aber das
Ausgefallenste, das Widersinnigste, was für Craws Geld zu haben war, war diese
Dachgartenbar hoch über dem Hafen mit ihrer chinesischen Vier-Mann-Kapelle, die
Noel Coward spielte, und ihren glattgesichtigen chinesischen Barmännern mit
Frack und Perücke, die aus dem Dunkel auftauchten und ihn in gutem
Amerikanesisch fragten, was zu trinken beliebe. »Ein Bier«, knurrte Craws Gast
und bediente sich mit einer Handvoll Salzmandeln. »Aber kalt. Verstanden? Sehl kalt . Und luck zuck.«
»Lächelt
Euer Eminenz das Leben?« erkundigte sich Craw. »Hören Sie auf mit dem Krampf,
ja? Geht mir auf den Wecker.« Das Eisenfressergesicht des Superintendent
verfügte nur über einen einzigen Ausdruck: den des bodenlosen Zynismus. Wenn
der Mensch die Wahl hätte zwischen gut und böse, besagte sein verbiestertes
Glotzen, würde er jederzeit das Böse wählen: und die Welt war mitten
durchgeschnitten, geteilt in solche, die das wußten und hinnahmen, und diese
langhaarigen Bubis in Whitehall, die an den Weihnachtsmann glaubten. »Die Akte
des Mädchens schon gefunden?«
»Nein.«
»Nennt
sich Worth. Hat ein paar Silben abgelegt.«
»Ich weiß
verdammt, wie sie sich nennt. Meinetwegen kann sie sich Mata Hari nennen, mir
scheißegal. Es ist trotzdem keine Akte über sie da.«
»Aber es
war eine da?«
»Richtig,
Dicker, war« griente
der Rocker wütend und ahmte Craws Akzent nach. » >Das war einmal, das ist nicht mehr<. Drücke ich mich klar genug
aus, oder soll ich es für Sie mit unsichtbarer Tinte einer Brieftaube auf den
Arsch malen, Sie gottverdammter Buschmann.«
Craw saß
eine Weile nur still da und nippte mäßig, aber regelmäßig an seinem Drink.
»Könnte Ko das getan haben?«
»Was
getan?« fragte der Rocker absichtlich begriffsstutzig. »Ihre Akte verschwinden
lassen.«
»Könnte
er.«
»Die Aktenschwindsucht
scheint sich auszubreiten«, kommentierte Craw nach einerweiteren
Erfrischungspause. »London niest und Hongkong kriegt den Schnupfen. Mein
kollegiales Mitgefühl, Monsignore. Mein brüderliches Beileid.« Er senkte die
Stimme zu einem tonlosen Flüstern. »Sagt mir, Ehrwürden: ist der Name Sally
Cale Musik für Eure Ohren?«
»Nie von
ihr gehört.«
»Was für
Geschäfte betreibt sie?«
»Tineff
Antik GmbH Kaulun. Geplünderte Kunstschätze, erstklassige Fälschungen,
Abbilder von Lord Buddha.«
»Woher?«
»Das echte
Zeug kommt aus Burma, über Vientiane. Fälschungen sind einheimisches Produkt.
Sechzig, altes Mannweib«, fügte er säuerlich hinzu und nahm vorsichtig ein
weiteres Bier in Angriff.
»Hält
deutsche Schäferhunde und Schimpansen. Gleich in Ihrer Straße.«
»Vorstrafen?«
»Sie
machen Witze.«
»Die Cale
hat das Mädchen angeblich mit Ko bekannt gemacht.«
»Na und?
Die Cale verkuppelt die Euronutten. Die Chinesen mögen sie deshalb, und ich
auch. Hab' mal gesagt, sie soll mir eine besorgen. Sagte, sie hätte nichts, was
klein genug wäre, die freche Sau.«
»Unsere
zarte Schöne war angeblich auf einen Sprung hier zum Goldkaufen. Paßt das ins
Bild?«
Der Rocker
blickte Craw mit neuem Abscheu- an, und Craw fixierte den Rocker, und es war
ein Zusammenstoß zweier unbeweglicher Objekte.
»Klar paßt
es ins Scheißbild«, sagte der Rocker verächtlich. »Die Cale war Aufkäuferin von
Schmuggelgold aus Macao, oder?«
»Und wo
kommt Ko ins Spiel?«
»Ach,
schleichen Sie doch nicht um den heißen Brei. Die Cale war der Strohmann. Das
Ganze war Kos Geschäft. Und sein fetter Bulldog da hat ihren Partner gemimt.«
»Tiu?«
Der Rocker
war wieder in seinen Biertran verfallen, aber Craw ließ nicht locker. Er neigte
den scheckigen Kopf ganz nah an das
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