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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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merkte sich den Notausgang und den Personalaufzug, den ihm
die Bärentreiber bereits aufgezeichnet hatten, falls er schleunigst
verschwinden müßte. Komisch, daß sie soviel wissen, dachte er, bei so wenigen
Quellen; müssen irgendwo einen Bauplan ausgegraben haben. Auf dem Tresen ein
Teakholzschild mit der Aufschrift »Trustee Department Enquiries«. Daneben eine
schmuddelige Broschüre über Astrologie, aufgeschlagen und mit zahlreichen
Anmerkungen versehen. Aber keine Empfangsdame, denn am Sonnabend war alles
anders. Am Sonnabend geht's am besten, hatten sie gesagt, Er blickte vergnügt,
reinen Gewissens um sich. Ein zweiter Korridor lief die Breitseite des Gebäudes
entlang, links Bürotüren, rechts trübselige kunststoffbeschichtete Wände. Dahinter
waren das langsame Tappen einer elektrischen Schreibmaschine - jemand tippte
einen Schriftsatz - und der langsame Singsang chinesischer Stenotypistinnen zu
hören, die am Sonnabend wenig anderes zu tun hatten, als auf den Lunch und den
freien Nachmittag zu warten. Vier der Türen waren lasiert und hatten
pfenniggroße Gucklöcher, durch die man hinaus- und hineinsehen konnte. Jerry
spazierte den Korridor entlang und spähte durch ein jedes, als wäre Spähen sein
Lieblingssport, Hände in den Taschen, ein albernes Grinsen im Gesicht. Das
vierte links, hatten sie gesagt, eine Tür, ein Fenster. Ein Angestellter ging
an ihm vorbei, dann eine Sekretärin auf modischen, klappernden Absätzen, aber
Jerry war bei aller Schlampigkeit immerhin Europäer und trug einen Anzug, und
keiner von beiden hielt ihn an.
    »Morgen,
zusammen«, brabbelte er, und sie wünschten ihm dafür »Guten Tag, Sir«.
    Am Ende
des Korridors war ein Eisengitter, und Eisengitter waren auch vor den Fenstern.
An der Decke war ein blaues Nachtlicht angebracht, aus Sicherheitsgründen, nahm
er an, aber genau wußte er es nicht: Feuerschutz, Raumschutz, er wußte es
nicht, die Bärentreiber hatten es nicht erwähnt, und Brand und Einbruch waren
nicht sein Fach. Der erste Raum war ein Büro, leer bis auf ein paar verstaubte
Sporttrophäen auf dem Fensterbrett und ein gesticktes Wappen des Sportclubs der
Bank an der Wand bei der Kleiderablage. Er ging an einem Stapel Apfelkisten mit
der Aufschrift »Trustee« vorbei. Sie schienen mit Überschreibungen und
Testamenten vollgestopft zu sein. Die traditionelle Knauserigkeit der alten
chinesischen Handelsfirmen starb offenbar schwer. Auf einem Schild an der Wand
stand »Privat«, und auf einem zweiten »Nur nach vorheriger Anmeldung«. Die
zweite Tür führte in einen Korridor und ein kleines Archiv, das gleichfalls
leer war, die dritte in die Toilette, »Nur für Direktoren«, neben der vierten
hing ein schwarzes Brett, an den Türpfosten war eine rote Glühlampe montiert,
und auf einem imposanten Namensschild in Letraset die Aufschrift: »J. FROST,
DEPUTY CHIEF TRUSTEE, Nur nach Anmeldung, bitte NICHT eintreten, wenn rotes
Licht BRENNT.« Aber das Licht brannte nicht, und das pfenniggroße Guckloch gab
den Blick auf einen Mann allein an seinem Schreibtisch frei. Seine einzige
Gesellschaft bestand aus einem Haufen Akten und Rollen teurer, nach dem Muster
englischer Dokumente in grüner Seide gebundener Papiere, aus den beiden
abgeschalteten Kabel-Fernsehgeräten für die Börsenkurse und dem Blick auf den
Hafen: obligatorisch für das Image einer höheren Verwaltungsebene, und von den
ebenso obligatorischen Lattenjalousien in bleistiftgraue Streifen geschnitten.
Ein properer, rundlicher, blühender kleiner Mann im Robin-Hood-grünen
Leinenanzug, allein und viel zu gewissenhaft arbeitend für einen Sonnabend.
Schweiß auf der Stirn; schwarze Halbmonde unter den Armen und - für Jerrys
wissendes Auge - die bleierne Bewegungslosigkeit eines Mannes, der nach
ausgedehntem Zechgelage sehr langsam wieder auf den Damm kommt.
    Ein
Eckzimmer, dachte Jerry. Nur eine Tür, diese da. Bloß ein Schubs, und du bist
draußen. Er warf einen letzten Blick nach beiden Seiten des leeren Korridors.
Jerry Westerbys Auftritt, dachte er. Wenn du den Text nicht kannst, dann tanze.
Die Tür gab sofort nach. Er trat vergnügt hindurch und setzte sein bewährtes
schüchternes Lächeln auf.
    »Hallo
Frosti, super. Komm ich zu spät oder zu früh? Altes Haus - sagen Sie mal -, das
ist ja ganz ungewöhnlich da draußen. Im Korridor - wäre
beinah darüber gestolpert - ein Haufen Apfelkisten voller Aktenkram. >Wer
mag Frostis Kunde sein?< frag ich mich. >Cox Orange, Pippinäpfel?

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