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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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Telefonzentrale
köpf stand, wenn sie dazu aufgelegt war, aber auf keinen Fall Elsa Fennan.
Nichts in ihrem wachen, intelligenten kleinen Gesicht, nichts an ihrer
vollkommenen Selbständigkeit unterstützte ihre lächerliche Behauptung, sie sei
zerstreut. Sie hätte sagen sollen, daß die Zentrale sich wahrscheinlich geirrt
habe, an einem verkehrten Tag angerufen, irgend etwas anderes. Fennan ja, der
war zerstreut gewesen. Das war einer der merkwürdigen Widersprüche in Fennans
Charakterbild, der sich bei den Nachforschungen vor der Einvernahme
herausgestellt hatte. Er las begierig Wildwest-Romane und spielte
leidenschaftlich Schach. Er war Musiker und in seiner Freizeit ein Philosoph,
ein tiefer Denker - aber zerstreut. Einmal hatte es seinetwegen ein fürchterliches
Theater gegeben, als er geheime Akten aus dem Außenamt mitnahm. Es stellte sich
dann heraus, daß er sie zusammen mit der >Times< und der Abendzeitung in
seine Aktentasche gesteckt hatte, bevor er nach Walliston heimfuhr.
    Hatte Elsa
Fennan in ihrer Panik sich in das Mäntelchen ihres Mannes gehüllt? Oder in das
Motiv ihres Mannes? Hatte Fennan den Anruf bestellt, um sich selber an etwas zu
erinnern, und hatte Elsa das Motiv geborgt? Wenn das so war, woran mußte Fennan
sich erinnern lassen - und was wollte seine Frau so verzweifelt verbergen?
    Samuel
Fennan. In ihm trafen sich die neue Welt und die alte. Der ewige Jude,
kultiviert, kosmopolitisch, selbstentschlossen, fleißig und aufnahmefähig. Für
Smiley ganz außergewöhnlich anziehend. Ein Kind seines Jahrhunderts. Verfolgt
wie Elsa und aus seiner Wahlheimat Deutschland an die Universität nach England
vertrieben. Einfach nur durch seine Begabung hatte er alle Nachteile und
Vorurteile wettgemacht und war schließlich in das Außenamt eingetreten. Es war
eine bemerkenswerte Leistung gewesen, die er nichts anderem verdankte als
seinen brillanten Fähigkeiten. Und wenn er ein wenig eingebildet war und nicht
geneigt, die Entscheidung primitiverer Geister abzuwarten, wer konnte ihm
daraus einen Vorwurf machen? Es hatte einiges Stirnrunzeln gegeben, als er
sich für ein geteiltes Deutschland aussprach, aber die Aufregung hatte sich
wieder gelegt, er war in eine asiatische Abteilung versetzt worden, und die
Affäre war vergessen. Im übrigen war er fast übertrieben generös gewesen und
beliebt, in Whitehall wie in Surrey, wo er jedes Wochenende einige Stunden im
Dienste der Nächstenliebe arbeitete. Sein größtes Vergnügen war das Skilaufen
gewesen. Jedes Jahr nahm er seinen ganzen Urlaub auf einmal und verbrachte
sechs Wochen in der Schweiz oder in Österreich. Deutschland hatte er nur ein
einziges Mal besucht, erinnerte sich Smiley. Vor etwa vier Jahren, zusammen mit
seiner Frau.
    Es war
ganz natürlich gewesen, daß Fennan sich in Oxford der Linken anschloß. Es war
die große Blütezeit des Kommunismus an den Universitäten, und die Gründe dafür
konnte er, bei Gott, verstehen: der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und
Italien, der Einmarsch Japans in die Mandschurei, der Aufstand Francos in
Spanien, die Depression in Amerika und vor allem die Welle von Antisemitismus,
die über Europa ging. Es war unausbleiblich, daß Fennan ein Ventil für seinen
Zorn und eine Ablenkung suchen mußte. Übrigens war die Partei damals
respektabel. Die Mißerfolge der Labour Party und der Koalitionsregierung
hatten viele Intellektuelle davon überzeugt, daß allein die Kommunisten eine
effektive Alternative gegenüber dem Kapitalismus und dem Faschismus zu bieten
hätten. Es war die Begeisterung, die Stimmung heimlicher Verschwörung und
Kameradschaft, die bei Fennans Charakter gezündet haben mußten und ihm Trost in
seiner Einsamkeit gegeben hatten. Es war die Rede davon gewesen, nach Spanien
zu gehen - einige waren wirklich gegangen und kehrten, wie Cornford aus
Cambridge, nie zurück.
    Smiley
konnte sich den Samuel Fennan von damals gut vorstellen. Zerfahren und ernst,
brachte er seinen Kameraden ohne Zweifel die Erfahrung echten Leidens, war ein
Veteran unter Kadetten. Seine Eltern waren tot. Sein Vater war ein kleiner
Bankier gewesen, der in weiser Voraussicht in der Schweiz ein kleines Konto
angelegt hatte. Es war nicht viel gewesen, aber es reichte zur Not für das
Studium in Oxford und schützte ihn vor dem kalten Wind der Armut.
    Smiley
erinnerte sich ganz genau an sein Gespräch mit Fennan. Einer von vielen, aber
doch anders. Anders wegen der Sprache. Fennan war so präzis, so schnell,

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