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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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ihn ein. Er schrie fast.
Was versuchte er ihm da zu sagen? Etwas von Battersea Bridge ... die
Flußpolizei . . . seit gestern abgängig. Er war hellwach. Adam Scarr war tot.
     
    Die Geschichte der Jungfrau
     
    Mendel
chauffierte sehr gut und mit einer schulmeisterlichen Pedanterie, die Smiley
komisch gefunden hätte. Die Weybridge Road war, wie gewöhnlich, vollgestopft
mit Fahrzeugen. Mendel haßte die Autofahrer. Wenn man einem Menschen einen
Wagen gibt, dann läßt er die Anständigkeit und den gesunden Menschenverstand
in der Garage zurück. Ganz gleich, wer es war. Er hatte Bischöfe im Purpur gesehen,
die in der Innenstadt mit hundert Sachen fuhren und die Fußgänger so
erschreckten, daß sie den Kopf verloren. Smileys Wagen mochte er gern. Ihm
gefiel die peinliche Gewissenhaftigkeit, mit der er gepflegt war, die
vernünftigen, nützlichen Kleinigkeiten. Er war ein netter kleiner Wagen.
    Er
schätzte Menschen, die sich um ihre Sachen kümmerten, die das beendeten, was
sie begannen. Ihm gefielen Gründlichkeit und Genauigkeit. Keine Pfuscherei. Wie
dieser Mörder. Wie hatte Scarr gesagt? »Jung, aber eiskalt. Kalt wie die
Nächstenliebe. « Er kannte diesen Blick, und Scarr hatte ihn auch erkannt. . .
den Ausdruck vollständiger Verneinung in den Augen eines jungen Mörders. Es war
nicht der Blick eines wilden Tieres, nicht der verzerrte wilde Ausdruck eines
Tobsüchtigen, sondern ein Blick aufs höchste gesteigerter, erprobter,
bestätigter Perfektion. Es war ein Zustand, der über das im Krieg Erlebte hinausging.
Das Erlebnis des Sterbens im Krieg bringt eine gewisse Abstumpfung mit sich,
aber darüber geht die anmaßende Überzeugung von der eigenen Überlegenheit im
Hirn des professionellen Mörders weit, himmelweit hinaus. Ja. Mendel hatte ihn
schon gesehen. Den, der sich abseits hielt von der Bande, mit fahlen, toten
Augen, dem die Mädchen nachgingen und von dem sie ohne ein Lächeln redeten.
Ja, er war eiskalt.
    Scarrs Tod
hatte Mendel Angst eingejagt. Er ließ sich von Smiley versprechen, daß er nach
seiner Entlassung aus dem Spital nicht in die Bywater Street gehen würde. Wenn
sie einiges Glück hätten, dann würden die anderen ja sowieso denken, er wäre
tot. Scarrs Tod bewies natürlich eine Tatsache: Der Mörder war noch immer in
England und noch immer bemüht, aufzuräumen. »Wenn ich wieder gesund bin«, hatte
Smiley gestern abend gesagt, »dann müssen wir ihn wieder aus seiner Höhle
locken. Ein paar Brocken Käse als Köder auslegen.« Mendel war es klar, wer
dieser Käse sein würde: Smiley selbst. Natürlich, wenn sie mit dem Motiv recht
hatten, dann gäbe es auch noch einen anderen Käse: Fennans Frau. Es spricht
tatsächlich nicht sehr für sie, dachte er grimmig, daß sie noch nicht
umgebracht worden ist. Er schämte sich über sich selbst und wendete seine Gedanken
anderen Dingen zu. Wie zum Beispiel wieder Smiley.
    Ein
merkwürdiger kleiner Bursche war dieser Smiley. Er erinnerte Mendel an einen
dicken Jungen, mit dem er in der Schule Fußball gespielt hatte. Konnte nicht
laufen, konnte nicht schießen, war blind wie eine neugeborene Katze, aber er
spielte wie der Teufel und war erst zufrieden, wenn er sich in Stücke zerrissen
hatte. Auch geboxt hatte er. Ging ohne Deckung mit geschwungenen Armen auf
einen los und brachte sich halb um, bis der Schiedsrichter abpfiff. War
übrigens auch ein gescheiter Bursche gewesen.
    Mendel
hielt bei einem Café am Straßenrand, trank eine Tasse Kaffee, aß ein Brötchen
und fuhr dann nach Weybridge hinein. Das Repertoire-Theater lag in einer
Einbahnstraße, die von der Hauptstraße ausging und in der man nicht parken
konnte. Endlich stellte er den Wagen bei der Eisenbahnstation ab und ging in
die Stadt zurück.
    Der
Haupteingang des Theaters war geschlossen. Mendel ging um das Haus herum auf
die Seite, wo die aus Backstein gemauerten Arkaden waren. Der grüne Flügel der
offenen Tür war eingehängt. Innen waren Riegel angebracht, und es stand mit
Kreide »Bühneneingang« daraufgekritzelt. Eine Glocke gab es nicht. Ein
schwacher Kaffeegeruch drang aus dem dunkelgrünen Gang hinter der Tür. Mendel
ging durch den Eingang und den Korridor entlang, an dessen Ende er eine
Steintreppe fand, die ein eisernes Geländer hatte und zu einer weiteren grünen
Tür führte. Der Geruch von Kaffee war jetzt stärker, und er hörte Stimmen.
    »Ist doch
Blödsinn, Darling, ganz offen gesagt. Wenn die Kulturgeier in dem wonniglichen
Surrey drei Monate

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