Carte Blanche - Ein Bond-Roman
sich denn nicht darüber gewundert, dass wir bei einer solchen Veranstaltung Gourmethäppchen serviert haben?«, fragte Felicity.
»Das habe ich tatsächlich.«
»Wenn ich Käse und Cracker angeboten hätte, wäre kein Krümel übrig geblieben. Aber bei diesem edleren Zeug – das ich ein paar Nobelrestaurants aus dem Kreuz leiern konnte – hat niemand sich mehr als einen oder zwei Bissen getraut. Ich wollte sichergehen, dass es jede Menge Reste gibt.«
»Und wohin liefern wir die Kartons?«
»Zu einer Tafel ganz in der Nähe. Wir arbeiten öfter mit denen zusammen.«
Als alles verstaut war, stiegen sie ein. Felicity nahm am Steuer Platz und zog die Schuhe aus, um barfuß zu fahren. Dann raste der Lieferwagen davon und holperte über den unebenen Asphalt, während sie Kupplung und Getriebe malträtierte.
Fünfzehn Minuten später trafen sie bei einer großen interkonfessionellen Tafel ein. Felicity zog die Schuhe wieder an, stieg aus und öffnete die Seitentür, damit sie die Scampi, Krabbenkuchen und Hühnchen nach Jamaika-Art ausladen konnten. Das Personal trug alles ins Gebäude.
Danach winkte Felicity einen groß gewachsenen Mann zu sich, der eine khakifarbene Hose und ein T-Shirt trug. Die Maikühle schien ihm nichts auszumachen. Er zögerte und kam dann näher. Nach einem neugierigen Blick auf Bond sagte er: »Ja, Miss Willing? Danke, Miss Willing. Viel gutes Essen für alle heute Abend. Haben Sie einen Blick in den Speisesaal geworfen? Er ist ganz voll.«
Sie ignorierte seine Fragen, die für Bond geklungen hatten, als wolle der Mann von etwas ablenken. »Joso, letzte Woche ist eine Lieferung verschwunden. Fünfzig Kilo. Wer hat es genommen?«
»Ich habe nichts gehört …«
»Ich habe nicht gefragt, ob Sie etwas gehört haben. Ich habe gefragt, wer es genommen hat.«
Sein Gesicht war eine Maske, aber dann bröckelte die Fassade. »Wieso fragen Sie mich, Miss Willing? Ich habe nichts getan.«
»Joso, wissen Sie, wie viele Leute von fünfzig Kilo Reis satt werden?«
»Ich …«
»Raus damit. Wie viele?« Er ragte über ihr auf, aber Felicity wich keinen Millimeter zurück. Bond fragte sich, ob das in Wahrheit der Grund war, aus dem sie ihn mitgenommen hatte. Doch ihr Blick verriet, dass sie momentan keinen Gedanken an ihn verschwendete. Das hier betraf Felicity und einen Übeltäter, der ihren Schützlingen Nahrung gestohlen hatte, und sie war vollauf in der Lage, allein mit ihm fertig zu werden. Bond fühlte sich an sich selbst im Angesicht eines Gegners erinnert. »Wie viele Leute?«, wiederholte sie.
Er fing an, auf Zulu oder Xhosa zu jammern.
»Nein«, korrigierte sie ihn. »Es werden mehr davon satt, viel mehr.«
»Es war ein Missgeschick«, protestierte er. »Ich hatte vergessen, die Tür abzuschließen. Es war spät. Ich habe …«
»Es war kein Missgeschick. Jemand hat gesehen, dass Sie die Tür aufgeschlossen haben, bevor Sie gegangen sind. Wer hat den Reis?«
»Nein, nein, Sie müssen mir glauben.«
»Wer?«, ließ sie nicht locker.
Er gab klein bei. »Ein Mann aus den Flats. Von einer Bande. O bitte, Miss Willing, wenn Sie das der Polizei melden, wird er herausfinden, dass ich es war. Er wird wissen, dass ich es Ihnen erzählt habe. Und dann zahlt er es mir und meiner Familie heim.«
Ihre Züge verhärteten sich, und Bond fühlte sich in seinem früheren Eindruck bestärkt: Sie war wie eine Raubkatze, nun kurz vor dem Angriff. In ihrer Stimme lag keinerlei Mitgefühl. »Ich werde nicht zur Polizei gehen«, sagte sie. »Nicht dieses Mal. Aber Sie werden dem Direktor gestehen, was Sie getan haben. Und er wird entscheiden, ob Sie bleiben dürfen oder nicht.«
»Das ist mein einziger Job«, klagte er. »Ich habe eine Familie. Mein einziger Job.«
»Den Sie bedenkenlos aufs Spiel gesetzt haben«, erwiderte sie. »Jetzt gehen Sie und sprechen Sie mit Reverend van Groot. Und falls er Sie behält und es ereignet sich noch ein Diebstahl, verständige ich die Polizei.«
»Es kommt nicht wieder vor, Miss Willing.« Er machte kehrt und verschwand nach drinnen.
Bond war beeindruckt, wie kühl und entschlossen sie die Angelegenheit geregelt hatte. Es machte sie nur umso attraktiver.
Sie bemerkte seinen Blick, und ihre Miene entspannte sich. »Dieser Krieg, den ich erwähnt habe … Manchmal kann man sich nicht sicher sein, wer der Feind ist. Er könnte sogar auf der eigenen Seite stehen.«
Wem sagst du das?, dachte Bond.
Sie kehrten zum Wagen zurück. Felicity bückte sich, um wieder
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