Carte Blanche - Ein Bond-Roman
man sich noch nie begegnet war, konnte tödliche Folgen haben.
Bond wartete mit neutraler Miene, bis Hydt sie einander vorgestellt hatte. »Das ist Jessica. Und das ist Gene Theron. Wir haben geschäftlich miteinander zu tun.«
Die Frau nickte und wich seinem Blick zwar nicht aus, ergriff aber nur zögernd seine Hand. Ein Zeichen von Unsicherheit, folgerte Bond. Ein weiterer Hinweis war ihre Handtasche, die sie fest zwischen Arm und Brustkasten eingeklemmt hatte, mit dem Riemen über der Schulter.
Sie fingen an zu plaudern. Bond griff auf Jordaans Lektionen über das Land zurück und bemühte sich, möglichst akkurat zu bleiben, weil er davon ausging, dass Jessica später von diesem Gespräch erzählen würde. Mit leiser Stimme äußerte er, dass die südafrikanische Regierung sich um Wichtigeres kümmern sollte als darum, Pretoria in Tshwane umzubenennen. Er war froh, dass der Konflikt mit den Gewerkschaften sich beruhigte. Ja, das Leben an der Ostküste gefiel ihm. Die Strände in der Nähe seiner Heimatstadt Durban waren besonders hübsch, vor allem nachdem man die Hainetze aufgespannt hatte, obwohl er noch nie auf einen der Großen Weißen gestoßen war, die mitunter Menschen angriffen. Dann sprachen sie über die Tierwelt. Jessica hatte dem berühmten Krüger-Nationalpark erst kürzlich wieder einen Besuch abgestattet und zwei halbwüchsige Elefanten dabei beobachtet, wie sie Bäume und Sträucher niederrissen. Das hatte sie an ihre Jugend in Somerville, Massachusetts erinnert, ein Stück nördlich von Boston, wo damals die öffentlichen Parkanlagen häufig von Teenagern verwüstet worden waren. Oh, ja, er hatte sich schon gedacht, dass sie mit amerikanischem Akzent sprach.
»Sind Sie schon mal in den USA gewesen, Mr. Theron?«
»Bitte nennen Sie mich Gene«, sagte Bond und ging in Gedanken die Biografie durch, die Bheka Jordaan und die Abteilung I entworfen hatten. »Nein«, sagte er. »Aber ich hoffe, es bietet sich mal die Gelegenheit.«
Bond sah zu Hydt. Seine Körpersprache hatte sich verändert; er wirkte ungeduldig. Ein Blick zu Jessica ließ erkennen, dass er mit Theron allein sein wollte. Bond dachte an die Kränkungen und Misshandlungen, die Bheka Jordaan durch ihre Kollegen erlitten hatte. Das hier ging in eine ähnliche Richtung. Gleich darauf entschuldigte die Frau sich: Sie wolle sich »die Nase pudern«. Bond hatte diesen Ausdruck schon seit Jahren nicht mehr gehört und fand es irgendwie paradox, dass sie ihn benutzte, denn vermutlich würde sie genau das nicht tun.
»Ich habe weiter über Ihren Vorschlag nachgedacht«, sagte Hydt, nachdem sie gegangen war. »Wir sollten die Sache in Angriff nehmen.«
»Gut.« Sie ließen sich von einer hübschen jungen Afrikaanderin Champagner nachschenken. » Dankie «, sagte Bond und ermahnte sich, es nicht zu übertreiben.
Sie zogen sich in eine Ecke des Saals zurück, wobei Hydt unterwegs mehreren Leuten zuwinkte und einige Hände schüttelte. Als sie dann allein unter dem ausgestopften Kopf einer Gazelle oder Antilope standen, stellte Hydt ihm eine Reihe von Fragen über die Anzahl der Gräber, ihre Größe, die Länder, in denen sie lagen, und darüber, wie nahe eine Entdeckung durch die Behörden bevorstehen mochte. Bond improvisierte die Antworten und war von der Gründlichkeit des Mannes beeindruckt. Wie es schien, hatte er sich den ganzen Nachmittag mit dem Projekt beschäftigt. Bond prägte sich ein, was er Hydt erzählte, und nahm sich vor, es später aufzuschreiben, damit er sich zukünftig nicht widersprach.
»Auch ich würde gern das eine oder andere wissen«, sagte Bond nach einer Viertelstunde. »Zunächst mal Ihre Firma hier. Ich möchte sie besichtigen.«
»Das sollten Sie unbedingt.«
Als Hydt keinen Termin vorschlug, fragte Bond: »Wie wäre es mit morgen?«
»Das könnte schwierig werden, wegen meines großen Projekts am Freitag.«
Bond nickte. »Einige meiner Kunden haben es sehr eilig. Sie sind meine erste Wahl, aber falls es Verzögerungen gibt, muss ich leider …«
»Nein, nein. Bitte. Morgen geht in Ordnung.«
Bond wollte nachhaken, aber in diesem Moment wurde das Licht gedämpft, und eine Frau stieg auf das kleine Podium unweit von Bond und Hydt. »Guten Abend«, rief sie mit südafrikanischem Akzent. »Herzlich willkommen. Danke, dass Sie uns heute Abend die Ehre erweisen.«
Sie war die Geschäftsführerin der Organisation, und Bond musste lächeln, als er ihren Namen hörte: Felicity Willing.
Nach seiner Ansicht
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