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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Garten schuftete und das Haus reparierte. Wenn es nicht gerade wieder einen dringenden Fall gab. Liebe? Natürlich war das Liebe. Was sonst?
    Liebe, dachte Kosinski, ist was völlig Überbewertetes. Lädt zum Mißbrauch ein. Leben – das war es, was zählte. Der gemeinsame Alltag. Die vielen Kleinigkeiten, die das Zusammenleben ausmachten. Die kleinen, zarten Gefühle, nicht die leidenschaftlichen Dramen. Die Zufriedenheit. Nicht die Sehnsucht.
    »Wieso Liebe?« hatte er Beate gestern gefragt. »Aus Liebe schlagen Eltern ihre Kinder tot. Oder halbtot.« Vor zwei Wochen hatte ein solcher Fall den halben Landkreis erschüttert – die andere Hälfte fand den Sachverhalt völlig normal. Eine Mutter hatte ihren Sohn mit Kleiderbügel und Lederriemen regelmäßig grün und blau geprügelt, weil er in der Schule nicht richtig mitkam. »Ich wollte doch nur das Beste« und »Er sollte es doch einmal besser haben als ich«, waren ihre hilflose Antworten, als das Jugendamt von einer Lehrerin alarmiert worden war.
    Oder der Pensionär, der nicht nur seine zwei Hunde, sondern auch seine Frau und schließlich sich selbst erschossen hatte, nachdem ihm vom Arzt mitgeteilt worden war, er habe höchstens noch drei Monate zu leben. Die Tölen – na gut. Aber warum auch die Frau dran glauben mußte? Der Liebe wegen, natürlich. Sie sei ohne ihn völlig hilflos, hatte der Mann in seinem Abschiedsbrief geschrieben. Die Szene am Tatort wirkte nicht so, als ob sie seine Meinung geteilt hätte. Sie hatte sich offenbar verzweifelt gewehrt.
    Wieso Liebe? Wofür war eine Liebe gut, die sogar vernunftbegabten Menschen den Verstand vernebelte? Anne Burau hatte sich aus Liebe geweigert, die Wirklichkeit wahrzunehmen, so, wie sie war: Ihr Mann war ein Verräter gewesen. Aber seine Frau hatte ausgerechnet diese Geschichte, die er ihr, als warnendes Beispiel und ohne Namen zu nennen, erzählt hatte, für besonders romantisch gehalten. Hier sei es doch wenigstens um was gegangen!
    »Und um was, meinst du?« hatte er zurückgefragt.
    »Na um – Ideale«, antwortete Beate – mit einer Spur von Verlegenheit, wie er beruhigt bemerkte. Denn das konnte sie ja wohl nicht ernst meinen. Sein spöttischer Blick stachelte ihren Widerspruchsgeist an. »Der Mann stand für das ein, woran er glaubte«, fügte sie trotzig hinzu.
    »Egal was es war, ja?« Gregor krümmte sich innerlich. Glaubte sie diesen Scheiß? »Und solltest du nicht lieber sagen: Er hat andere einstehen lassen?«
    Beate hatte ihn kampfeslustig angesehen. »Stehst du vielleicht nicht ein für deine Überzeugungen? Dienst du vielleicht nicht deinem Staat, auch wenn er zuviel von dir verlangt?« Zum Beispiel Überstunden? Und die ständige Vernachlässigung der Familie? hatte sie bei sich hinzugefügt. »Und geht das vielleicht nicht auch auf unsere Kosten?«
    »Niemand in diesem Land verlangt Rechtsbruch von mir«, antwortete Kosinski lahm. Natürlich nicht. Aber Rechtsbruch hatte auch von Leo Matern niemand verlangt. Der Mann mochte moralisch verwerflich gehandelt haben. Gegen in der DDR geltendes Recht aber verstieß das nicht.
    Beate schaute ihn spöttisch an. Auch sie wußte das.
    Kosinski fühlte sich in die Enge getrieben und keilte aus. »Der Mann hat Leute in den Knast gebracht, weil sie vom Menschenrecht auf Freizügigkeit Gebrauch machen wollten!« zischte er erbittert. »Sind das vielleicht Ideale, für die es sich zu kämpfen lohnt? Bewunderst du das etwa?«
    »Gregor!« sagte Beate beruhigend und streckte die Hand nach ihm aus. Aber Kosinski dachte nicht daran, seinen argumentativen Vorsprung abzugeben.
    »Scheißideale!« sagte er verbissen. »Mit Idealen fängt an, was meistens in einem Blutbad endet. Wer von Idealen redet, lügt.«
    »Gregor!« sagte Beate noch mal, diesmal schon etwas ungeduldiger. »Mußt du denn immer so übertreiben? Das habe ich doch gar nicht gemeint!«
    »Ich bin froh, daß es diesen Scheißstaat da drüben nicht mehr gibt!« rief Kosinski mit einer Erregung, die ihm selbst langsam etwas theatralisch vorkam. Wirklich? dachte er bei sich. Auch wenn es uns noch das Schwarze unter den Fingernägeln kosten wird?
    »Gregor!« sagte Beate mit gespielter Ruhe. »Es geht mir nur um die schlichte Tatsache, daß es im Leben auch noch etwas anderes geben muß als ein Dach über dem Kopf und die Suppe auf dem Tisch.«
    »Muß es?« fragte Kosinski spitz. »Das ist doch wohl ein Luxusphänomen!«
    Die Erinnerung an dieses Gespräch machte den Inspektor plötzlich

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