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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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maliziös. »Die Rumänen, nicht?«
    Marianne lächelte mild.

ERDE

GREGOR KOSINSKI
1
    Kriminalinspektor Gregor Kosinski dachte über die Liebe nach. Nicht im allgemeinen, sondern im besonderen. Gezwungenermaßen. Denn eigentlich war das überhaupt nicht seine Art. Und eigentlich wollte er sich das auch gar nicht erst angewöhnen. Reine Zeitverschwendung – hätte er früher gesagt.
    »Ja, früher«, grummelte er mißmutig. »Das spielen sie heute im Kino.«
    Er rutschte unbehaglich auf seinem alten Drehstuhl herum und blätterte lustlos in der Unterschriftenmappe, die er mitten auf seinem Schreibtisch gefunden hatte – mit Ausrufezeichen, sozusagen. Laut las er mit, was da unter offiziellem Briefkopf in seinem Namen geschrieben stand, und setzte schließlich, »So ein Quatsch!« und »Völlig unnötig!« murmelnd, seine Unterschrift darunter. Er mochte den ganzen bürokratischen Kram nicht, den einige Wichtigtuer erfunden hatten, um sich unentbehrlich zu machen. Die zahllosen Vorschriften, Anweisungen, Verwaltungsanforderungen, der ganze endlose Schreibkrempel, behinderten nur die Ermittlungsarbeit. »Im Würgegriff der Sesselfurzer«, sagte er grimmig, schob seinen Behördenstuhl nach hinten und stand auf. Die ihm auch noch einreden wollten, das alles sei zu seinem Schutz und seiner Absicherung. »Pfft«, machte Kosinski.
    Normalerweise mied er sein Büro. Schon um dem Anblick der vielen Topfpflanzen zu entgehen, mit denen Franzi sein Zimmer dekorierte. Kosinski stellte sich kopfschüttelnd vor den ficus benjamina neben dem Rollschrank und rüttelte an der schütteren Krone. Dutzende von gelben Blättern lösten sich und schwebten hinunter zu all den anderen, die sich wie verwelkter Grabschmuck um den Fuß des großen Blumenkübels gelegt hatten. Die oberen Zweige des Gummibaums waren kahl, und auch weiter unten lichtete es sich bereits. Ebenso entsetzlich sahen der ficus elastica und die monstera variegata aus. Kosinski war den Anblick gewohnt – und konnte sich doch nicht daran gewöhnen, daß alle Pflanzen in seinem Behördenzimmer spätestens nach einem halben Jahr dahinzusiechen pflegten. Er rauche zuviel, behauptete Franzi. Seine Erklärung für das rätselhafte Gummibaumsterben nahm sie ihm nicht ab – »Davon verstehst du doch aber wirklich gar nichts, Greg!« hatte sie gesagt, als er das erste Mal gewagt hatte, um Gnade für die Pflanzen zu bitten. Es war Franzi, die sie auf dem Gewissen hatte. Sie meinte es natürlich gut. Aber sie hatte nicht nur diese, sondern auch sämtliche Vorgänger regelrecht totgegossen.
    Kosinski, der normalerweise mit zuviel Bösem befaßt war, glaubte fest, daß es auch zuviel des Guten geben konnte. Das galt nicht nur für Gummibäume. Das galt, beispielsweise, auch für die Liebe.
    Die Liebe. Sie war der Grund, warum der Inspektor sich heute morgen so früh schon ausgerechnet in sein Büro geflüchtet hatte – obwohl es Sonntag war. Obwohl nichts Zwingendes anlag – außer dem Bürokratenkrempel, den er noch nie als dringlich angesehen hatte. Es war ihm schlichtweg nichts Besseres eingefallen, nachdem es ihn zu Hause nicht mehr hielt. Nachdem sich »zu Hause«, dachte er bitter, über Nacht in Rauch aufgelöst hatte.
     
    Beate hatte gestern angekündigt, sie werde sich eine eigene Wohnung nehmen. Sobald Thea aus dem Haus war, was mit Beginn des Sommersemesters der Fall sein würde. Seine Tochter hatte den Studienplatz bekommen, den sie sich ersehnt hatte. Sie wollte Jura studieren. Warum auch immer. Brotlose Kunst war das, wenn man Kosinski fragte. Anwälte gab es wie Sand am Meer. Aber es hatte ihn niemand gefragt.
    Allmählich dämmerte ihm, daß ihn schon lange niemand mehr gefragt hatte. Seine beiden Frauen hatten sich langsam, wie die Figuren auf einem Karussell oder einer Spieluhr, von ihm weggedreht. Was der Grund war, weshalb Gregor Kosinski über die Liebe nachdachte. Die Liebe, die, glaubte man Beate, zwischen ihnen nie eine Rolle gespielt hatte.
    »Du wolltest eine Haushälterin«, hatte sie ihm vorgeworfen. Nicht laut, das war nicht ihre Art. Sondern gefährlich leise. »Und die hast du auch gehabt.«
    Ihm war das gar nicht aufgefallen. Er hatte gedacht, sie beide hätten ein Abkommen. Sie, hätte er ihr gern entgegnet – aber das Argument fiel ihm erst Stunden später ein –, sie hatte einen Ernährer gewollt. Und den hatte sie auch bekommen. Einen Ernährer, der Überstunden kloppte wie ein Blöder. Und am Wochenende den Großeinkauf organisierte, im

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