Caruso singt nicht mehr
Ergebnisse erwarte.
»Wie weit sind Sie denn?« hatte Meier unfreundlich gefragt.
»Wir gehen jedem Hinweis nach.« Was stimmte. Wenn man Hinweise hatte.
»Und was ist mit der Russen-Connection?«
Bei der Staatsanwaltschaft favorisierte man die Theorie, daß Leo Matern mit der Russen-Mafia zu tun gehabt hätte – Plutoniumschmuggel oder Waffenschieberei oder sonst was Originelles. Es waren doch kyrillische Buchstaben, die man dem Matern auf den Arsch gestempelt hatte?
In der Tat. Darin war sich Kosinski mit der Spurensicherung einig.
Na also!
»Der Tote hatte vielfältige Verbindungen wahrscheinlich krimineller Art nach Frankfurt am Main«, antwortete Kosinski vorsichtig.
»Na also!« hatte Meier fröhlich gesagt. »Dann ermitteln Sie mal schön!«
Auch Meier hatte im Fall Matern erst, wie die meisten von Kosinskis Kollegen, die Ehefrau favorisiert. Es war ja fast immer die Ehefrau. Aber seit Frankfurt im Spiel war, war die Freude riesig. Selbst sonst ganz intelligente Kollegen waren der festen Überzeugung, daß alles Übel der Welt aus der Großstadt herüberschwappte. Und das Mekka des Verbrechens war Frankfurt.
Kosinski ärgerte diese biedere Weltsicht, diese provinzielle Verbohrtheit. Dieser – so mußte man es wohl nennen: Fremdenhaß. Waren Pferdeschlitzer und Brandstifter etwa aus dem Sündenbabel Frankfurt angereist gekommen, hatte er seinen Nachbarn gestern wutentbrannt gefragt, als der beim Bier düstere Analysen über das Verhältnis von Stadt und Land absonderte. Beide Täter kamen ja wohl von hier, aus den Nachbardörfern!
»Ist ja schon gut, Gregor«, hatte Karl gesagt und sich den Schaum von der Oberlippe gewischt. »Aber du mußt doch zugeben –«, sagte er und nahm einen weiteren Schluck – »Nichts gebe ich zu«, sagte Gregor ungehalten.
»– daß das im einen Fall nicht ganz richtig ist. Lange leben die schließlich noch nicht hier, die Eltern von dem jungen Mann. Alexander hieß er ja wohl, der Pferdeschlitzer.«
Gregor stöhnte auf. Alexanders Eltern waren Zugereiste.
»Und der andere Täter, der kleine Peter, der ist ja wohl unehelich?« sagte Karl unschuldig.
Gregor hatte es fast die Sprache verschlagen angesichts dieses nachgerade unverfrorenen Definitionstricks. Außenseiter und Zugereiste gehörten nicht zu »uns«. Und schon war die ländliche Welt wieder in Ordnung. Wenn das Böse von außen kommt, dachte Kosinski, muß sich niemand mehr fragen, was vielleicht in der eigenen Welt nicht stimmt. Und so verbarrikadierte man sich gegen »das Fremde«, ohne zu merken, daß das Böse schon längst heimisch geworden war.
Kosinski war bekannt dafür, daß er jede Form privater Aufrüstung strikt ablehnte. Er hielt weder etwas von den allseits beliebten Bewegungsmeldern noch vom Trend zu großen Hunden. Das half wirklich nur gegen Fremde. Kein Bewegungsmelder aber verhinderte, daß ein Mann seine Frau verprügelte.
»Verbrechen sind der Ausnahmefall in allen menschlichen Beziehungen«, pflegte er zu predigen, wenn wieder einmal einer zu ihm kam, besorgt um die eigene Sicherheit in einer zunehmend unsicheren Welt. »Und sie nehmen, wie die Statistik zeigt, nicht zu. Sondern ab.« Jedenfalls die, vor denen sich alle Menschen am meisten fürchteten: Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Raub. »Eine solide Tür hilft mehr als ein Bewegungsmelder«, fügte er meistens versöhnend hinzu. »Und den Walter« – das war der, der seine Frau schlug –, »den solltet ihr mal wieder ins Gebet nehmen.«
Meier hatte ihn erst jüngst zu sich beordert und ihm zu verstehen gegeben, daß man seine Thesen nicht unbedingt schätzte. »Ohne Leidensdruck beim Bürger«, hatte Meier mit kühlem Kalkül gesagt, »kein Druck auf die Politik. Und ohne motivierte Politiker keine Aufwertung der Polizei. Und ohne Moos nix los.« Das Argument hatte, wie Kosinski zugeben mußte, etwas für sich. Wenn auch nicht die Wahrheit.
Der Fall Leo Matern war, dachte Kosinski, eigentlich Wasser auf seine Mühlen. Der hatte die Zeit nach der Wende dazu genutzt, die alten Kontakte zu pflegen. In Frankfurt war er Mitgesellschafter eines »Sicherheitsdienstes«, der Objekt- und Personenschutz anbot und überwiegend alte Stasi-Kader und Grenzschützer der ehemaligen DDR beschäftigte. Was für ein Treppenwitz der Geschichte, dachte Kosinski höhnisch: Die Leute ließen sich von Verbrechern vor Verbrechern schützen. Daß ausgerechnet die alten DDR-Kader im Kapitalismus für Ruhe und Ordnung sorgen sollten, fand er paradox.
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