Caruso singt nicht mehr
wütend. Er hatte in ihrer Ehe für das Dach über dem Kopf und die Butter auf dem Brot gesorgt. Damit sie irgendwelchen Idealen hinterherträumen konnte – von der Sorge ums Alltägliche befreit. »Für etwas einstehen – pfft«, schnaubte Kosinski verächtlich. Ungebeten stieg das Bild seines Vaters vor ihm auf. Der hatte es gehaßt, wenn seine Kinder träumten. Und seine Frau »bürgerliche« Volkshochschulkurse besuchen wollte. »Killefit«, hatte der Alte dann geknurrt. »Darauf«, gesagt und mit der Arbeiterfaust auf den Tisch geschlagen, »darauf kommt es an.« Erst kommt das Fressen, hieß das. Und dann – vielleicht – die Moral. Gregor hatte seinen Alten gehaßt, der mit spitzem Finger in jede Seifenblase stieß, die seine Familie aufsteigen ließ. Heute, dachte Kosinski mit Erstaunen, heute denke ich genauso.
»Und was«, hatte er gestern insistiert, »was ist so ideal an etwas, das ich ganz einfach gemeinen, bösartigen Verrat nennen würde? Und was ist verkehrt an der schlichten, banalen, alltäglichen Ehe, wie du und ich sie seit Jahren führen?«
Beate hatte geseufzt und die Augen himmelwärts gedreht. Sie hatten diese Debatte schon so oft geführt. Die Ideale des Leo Matern interessierten sie im Grunde herzlich wenig. Wenn er denn welche hatte. Es war das leidenschaftliche Plädoyer für die Leidenschaftslosigkeit, was sie an ihrem Mann so irritierte.
»Unsere Ehe ist so – leidenschaftslos«, hatte Beate geantwortet und ihn provozierend angeguckt.
»Leidenschaft ist das, was Leiden schafft«, hatte Kosinski resigniert gebrummelt und war mit hängenden Schultern nach oben ins Schlafzimmer gegangen. Es erschütterte ihn, daß Beate einen miesen, hinterhältigen Verrat für spannender zu halten schien als die schlichte, unscheinbare Treue, die er ihr seit mehr als zweiundzwanzig Jahren hielt. Kosinski hängte Hose und Sakko in den Kleiderschrank und stand, in Socken, Unterhose und Oberhemd, ratlos vor dem Doppelbett, das er nun so lange schon mit ihr teilte. Voller Mißtrauen betrachtete er den Bücherstapel auf ihrem Nachttisch. Er mochte es nicht, wenn sie im Bett noch las. Was sie tat, seit beide aus den Flitterwochen zurückgekommen waren. Besser, hatte er sich einmal gesagt, als wenn sie Migräne vorschützen würde. Aber die Wirkung war im Laufe der Jahre die gleiche geworden.
»Salz auf unserer Haut« hieß das Buch, das obenauf lag. Der Klappentext verhieß nichts Gutes: Das Wort Leidenschaft tauchte darin auf. Er legte das Werk mit spitzen Fingern beiseite. »September« von Rosamund Pilcher lag darunter. Der Name war ihm bekannt, von den Bestsellerlisten im »Spiegel«. Das war Grund genug für Mißtrauen. »Parfum« nannte sich – ausgerechnet! – das Buch, das zuunterst lag. Warum nicht gleich »Obsession«? »Gefühlskitsch ist das alles«, murmelte er humorlos. »Gift. Reines, pures Gift.«
Gregor Kosinski hegte mittlerweile den festen Glauben, daß es die Literatur war, die Frauen auf dumme Gedanken brachte. Er war nicht als erster auf diese Idee gekommen. Aber das wußte er nicht. Das ahnte er nur.
»Liebe! Liebe!« knurrte der Inspektor und warf im Hinausgehen die Unterschriftenmappe auf den Tisch von Franzi. »Man hat doch zwischendrin auch noch zu tun!«
Kosinski tat an diesem Sonntag, was er immer machte, wenn er nicht weiterwußte: Er arbeitete. Was der eigentliche Grund dafür war, daß Beate ihn verlassen wollte. Sie hatte keine Lust mehr, ihn dauernd mit seinen Fällen zu teilen. Denn da war er wirklich leidenschaftlich bei der Sache.
Kein Wunder: Denn im Unterschied zu seiner Frau, die stets die gleiche blieb, war jeder neue Fall ein neues Geheimnis. Sogar Kosinski, der tapfere Advokat eines haushälterischen Gefühlslebens, kannte den Zauber des Unbekannten, den Reiz des Rätselhaften. Genau deshalb wollte er von diesen Reizen im Privatleben nichts, aber auch überhaupt nichts wissen.
Das Leben war auch so aufregend genug. Er hatte vorgestern ein langes Telefongespräch mit Meier von der Staatsanwaltschaft führen müssen, dem jungen Schnösel, der immer alles besser wußte. Pünktlich Freitag nachmittag um fünf vor vier, bevor man bei den feinen Herren ins verdiente Wochenende ging. Die arbeiteten am Wochenende auch nur, wenn es sich überhaupt nicht vermeiden ließ, dachte Kosinski säuerlich. Nicht wie die armen Minenhunde vor Ort, die sich auch nach endlosen Überstunden und verdorbenen Familienwochenenden noch anhören mußten, daß man nun langsam
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