Caruso singt nicht mehr
erledigen und versprach scheinheilig, gleich wieder da zu sein. Karen sah sie dankbar an. Und strahlte ungeniert in die schönsten braunen Augen, die ihr je begegnet waren.
»Karen Stark«, sagte David, jede Silbe betonend. »Ist das – ein Künstlername?«
»Nein, der ist echt. In meiner Branche braucht man kein Alias.«
»Und Wlassow?« fragte sie und fuhr mit dem Finger über den nassen Fuß ihres Weinglases, einmal rechts, einmal links herum. »Ist das ein Künstlername?«
»Wer weiß?« sagte David und lachte sie an. »Angeblich stammen wir auf irgendwelchen verschlungenen Wegen von Tolstoi ab. Mein Vater liebte es, damit anzugeben.«
»Und?« Karen interessierte sich für die feine Narbe, die der Mann mit der weichen Stimme im Gesicht hatte, weit mehr als für den berühmten und mausetoten Urahn. Der dünne weiße Strich zog sich von der Nasenwurzel bis zur linken Augenbraue, von der schmalen, geraden Nase bis zu den dünnen, fast weißen Härchen über den hellen braunen Augen, die sie nicht aus dem Blick ließen.
»Ich hab da meine Zweifel.« David grinste. »Wir galten in der Sowjetunion als reinrassige Proletenfamilie …«
Karen horchte seiner Stimme hinterher, der seltsamen, ungewohnten Klangfärbung – und merkte plötzlich, wie sich der Boden unter ihren Füßen bewegte. Ganz leicht nur hob – und senkte. Das war kein Erdbeben. Und auch nicht die U-Bahn. Das war ein Gefühlszustand. »Gewöhnungsbedürftig«, konstatierte sie. »Aber es könnte süchtig machen.«
David hatte die Hand auf ihren Arm gelegt. Seine langen, schmalen Finger lösten bei ihr Assoziationen aus, die nicht zu einem Handkäs mit Musik paßten, weshalb sie den längst beiseite geräumt hatte.
»Daß ich schon als Kind zum Zirkus wollte, war zu Hause überhaupt nicht gern gesehen«, sagte er.
»Mutter schluchzte, und Vater griff verzweifelt zur Flasche?«
Jetzt lachte er. »So ungefähr.«
David hakte Karen unter, als sie über den Markt schlenderten, auf dem man an manchen Ständen schon mit dem Abräumen begann. Dani hatten beide vergessen. Auch worüber sie sich unterhielten, konnte Karen später nicht lückenlos rekonstruieren. Sie taten das, was alle Verliebten machen: Sie erzählten einander ihr Leben. Die biografische Kurzversion, die David ihr offerierte, verzauberte sie mehr, als sie später nachzuvollziehen vermochte. Die Eltern hatten sich irgendwann mit Davids Berufswunsch abgefunden. Er ließ sich im Moskauer Studio für Zirkuskunst in etwas ausbilden, was sich »Equilibristik« nannte – »Bei Valentin Gneuchev«, sagte er andächtig. Der Name sagte Karin nichts. Dann ging er zum Moskauer Staatszirkus. Blieb, nach einer Tournee, 1986 in der DDR. Reiste 1988 mit dem Staatszirkus der DDR nach Paris und wurde dort fahnenflüchtig. Gewann 1992 beim 16. Internationalen Zirkusfestival von Monte Carlo den Silbernen Clown. Wohnte seit der Wende in Berlin. Lebte allein.
»Was ist Equilibristik?« fragte Karen.
»Immer Haltung bewahren«, sagte er und lachte.
»Das kann ich auch!«
»Das Gleichgewicht halten, egal was passiert?«
»Eine meiner leichtesten Übungen!«
»Kopfüber? Auf einer Hand?«
»Na ja!« sagte Karen.
Die Menschenmenge preßte beide aneinander, während sie sich wie im Traum über den Markt bewegten, ohne Blick für anderes. Er hatte ihren Arm genommen, dann ihre Hand. Mit leiser Stimme auf sie eingeredet. Sie ausgefragt. Über die erste Liebe hatte sie ihm bereitwillig erzählt. Über ihre Vorliebe für klassische Sportwagen. Wie oft sie trainierte, und daß sie ziemlich gut schießen konnte. Doch sie hatte ihm nicht gesagt, wo und wie sie ihren Arbeitstag verbrachte – aus Gründen, die sie nicht interpretieren mochte. Es war wohl auch nicht das, was ihn an ihr interessierte.
Dann war es Zeit. Er hatte ihre Hände gefaßt, ihr in die Augen gesehen und war gegangen. Ohne etwas zu sagen. Was auch? Über das Unausgesprochene waren sie sich längst einig.
Karen ging zu Fuß nach Hause, geistesabwesend. In einem Zustand, von dem sie geglaubt hatte, er sei in ihrem Leben nicht mehr vorgesehen. Zu Hause ließ sie Wasser in die Badewanne einlaufen, legte die Callas-CD auf, ließ sich vom heißen Bad durchwärmen und wunderte sich gründlich über sich selbst. »Was willst du denn mit einem Artisten, um Himmels willen?« fragte sie sich. »Ja, was wohl?« fragte der Leichtsinn in ihr zurück. »Oder hast du etwa Klassendünkel?«
Sie war schon aus der Wanne gestiegen, hatte sich das große
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