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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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keine Sorgen, Frau Burau. Die Abdrücke auf dem Schädel lassen offenbar nur eine Deutung zu. Es war ein Pferdehuf.«
    »Bucephalus?«
    »Er dürfte sich gewehrt haben.« Kosinski drückte die Zigarette in dem jetzt schon vollen Aschenbecher aus. »Es muß den Jungen erwischt haben, als er dem Pferd die Hinterläufe fesseln wollte.«
    »Aber das Tier ist lammfromm!« Anne glaubte, den Ruf ihres Lieblingsgauls verteidigen zu müssen.
    »Bucephalus muß etwas gespürt haben. Die Angst oder die Erregung des Täters. Ich habe mir sagen lassen, daß nicht alle hochgezüchteten Pferde notgedrungen dämlich sind.« Der Inspektor stand auf und versuchte sich die Katzenhaare von der Hose zu klopfen – ohne Erfolg. Auf der dunklen Flanellhose hinterließen die grauen Haare von Boris ein reizendes Muster.
    »Ich koche jetzt einen Kaffee«, sagte Kosinski.
    »Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause«, antwortete Anne abwesend. War Alexander nur der Pferdemörder? Oder auch ein Brandstifter? Und der Mörder Leos? Wozu hatte der Junge eine Drahtschlinge dabei? Pferde konnte man damit nicht erwürgen. Wohl aber Menschen.
    War Leo das Opfer des Pferdemörders geworden? Womöglich, weil er Alexander beobachtet hatte, bei einem ersten, gescheiterten Versuch, sich einem ihrer Pferde zu nähern? Plötzlich wünschte sie sich inbrünstig, daß es so und nicht anders wäre. Daß Leos Tod nichts mit der Vergangenheit zu tun hätte. Sondern daß er starb, weil er einmal, das erste Mal vielleicht, nicht seine, sondern ihre Interessen verteidigte. Ihren Besitz. Ihren Seelenfrieden.
    »Den Zucker habe ich nicht gefunden«, erklang die Stimme des Inspektors von der Terrassentür her, durch die er ein Tablett mit zwei Tassen, mit der Kaffeekanne und einer Flasche Milch balancierte.
    Anne bedankte sich noch nicht einmal bei ihm. »Die Drahtschlinge, die Sie bei Alexander gefunden haben«, fragte sie drängend. »Ist Leo damit umgebracht worden?«
    »Ich dachte, daß Sie das fragen würden.« Kosinski suchte nach seinen Zigaretten.
    »Das ist keine Antwort.«
    »Die kann ich Ihnen momentan auch nicht geben.« Kosinski fingerte sich eine Zigarette aus der verknautschten Packung. Zündete sie an. Inhalierte. Anne sah ihm ungeduldig dabei zu.
    »Frau Burau«, sagte er schließlich. »Es wäre, ganz ohne Zweifel, die allereinfachste Lösung, wenn der junge Alexander Ihren Mann umgebracht hätte. Wir wären alle Sorgen los.«
    »Bis auf die Frage, was Rena darüber wußte«, sagte Anne leise.
    »Das ist das Problem«, stimmte Kosinski ihr zu.
    »Aber ich glaube nicht, daß er der Mörder war. Alexander wäre weggelaufen, wenn ihn jemand überrascht hätte. Hätte vielleicht zugestochen oder um sich geschlagen. Hätte gegen Ihren Mann wahrscheinlich noch nicht einmal eine Chance gehabt.«
    Anne hatte die schmale Gestalt von Alexander vor Augen und mußte ihm widerstrebend recht geben.
    »Zweitens: der Tatort. Ihr Mann ist nicht im Stall umgebracht worden, wie hätte er also den Jungen auf frischer Tat ertappen sollen? Vor allem aber …«
    Kosinski drückte die Zigarette aus und sah Anne in die Augen.
    »Vor allem wäre der Junge rein physisch außerstande gewesen, die Leiche ins Kühlhaus zu schleppen und dort an den Haken zu hängen.«
    »Nur mit Hilfe.« Anne sah in seinem Gesicht, worauf er hinauswollte.
    »Nur mit Hilfe«, nickte Kosinski.
    Anne spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Sie griff zur Kaffeetasse und nahm hastig einen Schluck. Fast hätte sie sich am heißen, bitteren Kaffee die Zunge verbrannt.
    »Weshalb ich, bevor ich die Mittäterschaft Ihrer Tochter in Betracht ziehe, mit Ihnen nach anderen Möglichkeiten suchen möchte. Ich denke, dagegen spricht wenig, oder?«
    »In der Tat nicht«, antwortete sie ein wenig steif, obwohl ihr die freundliche Ironie nicht entgangen war, mit der er sie ansah.
    »Wann sind Sie aus Kiel geflüchtet? 1991?« Anne nickte. Hatten sie das nicht schon längst abgehandelt?
    »Und der Hof hier? Billig kann das nicht gewesen sein.« Anne nickte wieder. Widerstrebend.
    »Was hat das mit …?«
    »Geduld. Geduld. Woher kam das Geld?«
    Jetzt seufzte Anne. »Eigene Mittel. Die Bank. Und Leo.«
    »Und der hatte das Geld von …?«
    »Unklar. Ich hab ihn nie gefragt.« Aber sie hatte es geahnt. Natürlich hatte sie es geahnt.
    Anne war damals vor Scham wie versteinert gewesen. »Gute Arbeit«, hatte sie zu Leo gesagt, als er die restlichen drei Kisten abholte, die noch in ihrer Wohnung standen. Er hatte seine Sachen

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